Die dunkle Seite des Sommers (German Edition)
weißt doch selbst, was die immer in ihren Jacken- und
Hosentaschen spazieren tragen. Aber hier: Fehlanzeige.«
Hackenholt nickte versonnen.
»Was er wohl mitten im Wald gesucht haben mag? Die Stelle hier ist doch
ziemlich abgelegen.«
Mur wiegte ihren Kopf hin und
her. »Das kommt dir nur so vor, weil du die Straße vom Tiergarten hergefahren
bist. Wenn du dir das Gelände auf der Karte anschaust, wirst du sehen, dass es
von hier aus nur ein Katzensprung bis nach Rehhof ist. Vielleicht eine knappe
Viertelstunde bis zum nächsten Schrebergarten. Andererseits gebe ich dir schon
recht: ein naturverbundener Sandler, der im Wald spazieren geht? Dass ich nicht
lache!«
Hinter ihnen brach mit einem lauten
Knacken ein Ast. Hackenholt fuhr erschrocken herum, doch es war nur Dr.
Puellen, der sich den Weg durch das Unterholz bahnte – ohne die geschätzte
Begleitung einer der beiden Streifenpolizisten, wie Hackenholt verärgert
feststellte. Bei ihnen angekommen zuckte der Mediziner entschuldigend mit den
Schultern. »Tut mir leid, ich wollte euch nicht erschrecken. Aber ich bin froh,
dass ich euch überhaupt gefunden habe. Ich hatte schon Angst, mich hier zu
verlaufen.«
Rasch warf Hackenholt Mur einen
warnenden Blick zu, doch die hatte ausnahmsweise gar nicht vor, das
Eingeständnis mit einer ihrer spitzen Bemerkungen zu kommentieren. Puellen
breitete auf dem Boden ein kleines Tuch aus, das wie das Stück einer
zerschnittenen Picknickdecke aussah, und kniete sich darauf neben dem Toten
nieder. Hackenholt und Mur traten beiseite und ließen den Mediziner in Ruhe
arbeiten.
»Außerdem ist auffällig, dass er
nur einen Schuh anhat«, nahm Mur das Gespräch wieder auf, das durch Puellens
Ankunft unterbrochen worden war. »Natürlich kann ein Fuchs oder ein Wildschwein
dafür verantwortlich sein, aber wenn Letzteres den Mann gefunden hätte, sähe
die Leiche jetzt anders aus.«
»Andererseits ist der Tote nicht
verscharrt worden«, gab Hackenholt zu bedenken. »Wenn jemand eine Leiche loswerden
will, dann vergräbt er sie normalerweise oder deckt sie zumindest mit Ästen und
Laub zu.«
»Stimmt. Aber wir befinden uns
hier in einem besonders schwer zugänglichen Waldstück. Schau dir nur die
Brombeerranken an. Wenn jemand hier einen Toten ablädt, ist er wahrscheinlich
davon überzeugt, dass der nie gefunden wird.«
»Du gehst also von einem
Tötungsdelikt aus?«
Mur schnitt eine Grimasse.
»Schlussendlich wird das nur Dr. Puellen feststellen können. Einstweilen bleibe
ich bei meiner Theorie, dass ihn jemand hier abgeladen hat. Oder aber zumindest
vor uns gefunden und seine Habseligkeiten an sich genommen hat.«
Hinter ihnen war ein Ächzen zu
vernehmen. Dr. Puellen hatte den Toten umgedreht. Als Folge waren einige der
Ödeme geplatzt, die nun einen intensiven Leichengeruch verströmten. Mur schnitt
eine Grimasse und wich automatisch einen Schritt zurück.
»Gibt es irgendwelche
Auffälligkeiten?«, fragte Hackenholt den Arzt. Er musste sich zwingen, näher
heranzutreten.
Puellen blickte auf. »Er hat
einige blaue Flecke und Kratzwunden, aber die würde man bei jedem erwarten, der
sich hier durch das Dickicht gekämpft hat. Alles Weitere kann ich erst nach der
Obduktion sagen. Woran er gestorben ist. Und auch wann«, fügte er schnell
hinzu, als er sah, dass Hackenholt zu einer weiteren Frage ansetzen wollte.
»Ein bisschen mehr wirst du uns
doch auch jetzt schon verraten können, Maurice. Was ist beispielsweise mit der
Wunde an der Stirn?«
Der Mediziner seufzte. »Gerade
die muss ich mir unter dem Mikroskop ganz genau anschauen, bevor ich sagen
kann, ob er auf einen sehr harten Gegenstand gestürzt ist oder absichtlich
niedergeschlagen wurde. Der Schädelknochen ist jedenfalls gebrochen. Habt ihr
vielleicht einen Stein gefunden, auf den er aufgeschlagen sein könnte?« Puellen
sah Hackenholt und Mur fragend an.
Die Leiterin der Spurensicherung
starrte aus zusammengekniffenen Augen zurück und wies dann wortlos auf mehrere
unmittelbar neben dem Mediziner halb aus dem Waldboden herausragende
Felsblöcke.
»Und der ungefähre Zeitpunkt des
Todes?«, fragte Hackenholt schnell nach, da er befürchtete, Mur würde sich bei
Puellen doch noch erkundigen, ob er eigentlich Augen im Kopf hatte.
»Wenn er die ganze Zeit hier
draußen gelegen hat, können es ein bis zwei Wochen gewesen sein. In einer geheizten
Wohnung wären es dagegen wohl nur ein paar Tage.« Damit erhob sich der
Rechtsmediziner endlich wieder, zupfte
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