Die dunkle Seite des Sommers (German Edition)
werd’s nie begreifen!« Er zeigte auf
einen grauhaarigen Brillenträger mit sorgfältig gestutztem Bart, der, wie
etliche andere Festivalbesucher, stolz ein gelbes Brasilientrikot trug und, mit
Gürteltäschchen, Zip-Hose und Trekkingsandalen, inmitten anderer tanzender Fans
verzückt dem Samba-Takt zu folgen versuchte.
»Der sieht doch aus wie der alte
Kripo-Geyer! Gibt’s den eigentlich noch?«
»Längst pensioniert«, winkte
Charly ab. »Den hat doch vor zwei Jahren der Löhlein beerbt.«
»Ausgerechnet Löhlein?«, feixte
Winter ungläubig. »Unser Arschkriecher Heinz-Uwe ist jetzt Abteilungsleiter?«
Charly zuckte gelangweilt mit
den Achseln. »Was hast du denn erwartet? Loyalität vor Qualität, du kennst doch
den alten Führungsgrundsatz.«
»Hättest halt doch öfter mal
deinen Mund halten sollen!« Winter klopfte ihm süffisant auf die Schulter.
»Dann wärst du jetzt mit fünfundvierzig nicht bloß Kommissar! Wie hat der Alte
immer gesagt? ›Kritik ist wichtig und erwünscht, aber bitte nicht jetzt und
hier!‹«
»Hör bloß auf, die Zeiten sind
Gott sei Dank vorbei! Und die große Reform der bayerischen Polizei hat man ja
auch wieder zurückgenommen. – Da! Schau!«
Mit einer winzigen Handbewegung
zeigte Charly in den atemberaubenden Ausschnitt einer Brasilianerin, die sich
gerade gebückt hatte, um Steinchen aus ihren Schuhen zu schütteln. »Und das ist
übrigens der wahre Grund, warum der Schlossplatz nie geteert wird und hier
immer nur der Splittbelag erneuert wird!«
Winter ließ ein leises,
anerkennendes Pfeifen hören.
»Du sagst, die alten Zeiten sind
vorbei … wie macht sich denn der neue Polizeichef?«
»Ritter? Passt schon«, nickte
Charly. »Ein paar moderne Führungsmätzchen natürlich, schließlich ist er ja ein
Studienfreund von Staatssekretär Vöhringer, unserem nächsten bayerischen
Innenminister. Ritter will vor allem Ergebnisse sehen, schnelle und gute
Ergebnisse.« Er grinste. »Aber damit komme ich besser klar als ein
Reichsbedenkenträger wie unser Heinz-Uwe Löhlein.«
Sie hatten den
schwarz-rot-goldenen »Leikeim«-Bierausschank vor der Ehrenburg erreicht und
schlossen sich, in wortloser Übereinstimmung, der Warteschlange an. In der
sanft herannahenden Abenddämmerung hatten alle Gastro-Zelte, Verkaufsstände und VIP -Pavillons mittlerweile ihre
blauen, roten und gelben Lichterketten eingeschaltet. Am anderen Ende des
Schlossplatzes, auf der taghell ausgeleuchteten Hauptbühne vor dem
Landestheater, war der Moderator, ein kleinwüchsiger Berufsjugendlicher des
Lokalradios, in seinem Element: In weißer Jeans, weißem Shirt und mit weißem
Headset fegte er wie ein Irrwisch über die Bühne, um, mit heiser überkippender
Stimme, den dreitausend Fans den Top-Act des Abends zu präsentieren: »Und hier
sind sie; begrüßt mit mir, aus Pernambuco in Brasilien, welcome to
Coburg-Samba-City, welcome the one and only Ba-te-ria do Sam-ba Bra-sil!«
23:03 Uhr
Letzte Zugabe der »Bateria
do Samba Brasil«: Aufpeitschend hämmerten die Samba-Rhythmen durch die
schwülwarme Vollmondnacht. Trommeln und Tamburine rasten wie entfesselt,
trieben Tänzerinnen und Zuschauer in einen infernalischen Wirbel purer
Leidenschaft und Lebenslust; wie elektrisiert zuckten schweißnasse Leiber zum
stampfenden Stakkato des Samba-Grooves – Ekstase …!
… Ekstase! dachte Jasmin Keller
fasziniert, Samba ist die absolute Ekstase! Der pure Sex. Unfassbar, was in
Coburg heute Nacht wieder abgeht – wir sind der Nabel der Welt!
Die dunkelblonde Studentin saß
zwei Steinwürfe weiter im Hofgarten, dem Landschaftspark, der sich über den
Schlossplatz-Arkaden an die Hänge des Festungsbergs schmiegt. Hingerissen
lauschte sie zum Schlossplatz hinunter, der unter den brasilianischen
Perkussionskaskaden förmlich zu vibrieren schien … oder war es nur der
Caipirinha, der durch ihre Adern rauschte?
Entspannt ließ sie sich wieder
ins warme Gras zurücksinken. Ihre Lippen schmeckten immer noch leicht salzig.
Was für ein geiler Tag: von Alex im »Carrera« abgeholt, den ganzen Abend
Samba-Party und jetzt den coolen Porschefahrer endlich mal ganz privat ins
Schwitzen gebracht …
This … could be the first …
day of my life …!
Wo Alex bloß so lang blieb?
»Muss mal kurz austreten«, hatte er ihr vorhin ins Ohr gewispert und
war ein Stück weiter hinter den großen, dunklen Büschen verschwunden.
Jasmin blickte sich suchend um.
Das Wiesenstück, das sie von ihrem Platz aus überblicken
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