Die dunkle Seite des Sommers (German Edition)
das, was so lange
dauert: Die Analyse der Pillen, die sie bei sich hatte, liegt den Kollegen noch
nicht vor. Es war jedenfalls eine nicht geringe Menge: über eintausend Stück.
Je nach dem, um was für ein Zeug es sich dabei handelt, wandert sie vielleicht
hier in Deutschland erst noch ein paar Jahre in den Bau. Bisher hat sie
allerdings zu allen Anschuldigungen geschwiegen.«
»Hast du mit dem
Ermittlungsrichter gesprochen?«
»Klar. Er hat die Zustimmung zur
Vernehmung direkt rüber an die Frauenanstalt faxen lassen. Ihr dürftet also
keine Probleme bekommen.«
Wünnenberg bog rechts in die
Mannertstraße ein, wo auch die Untersuchungshaft für Frauen untergebracht war,
und Hackenholt beeilte sich, das Telefonat zu beenden.
In der Schleuse gaben sie ihre
Ausweise ab. Die Beamtin an der Torwache hinter der dicken Glasscheibe wusste
Bescheid, sie hatte das richterliche Schreiben bereits erhalten.
Die beiden Ermittler schalteten
ihre Handys aus und versperrten diese zusammen mit ihren Dienstwaffen und
sämtlichen Schlüsseln, die sie bei sich trugen, in einem Schließfach. Dann
durften sie in den Besucherwarteraum links hinter der Schleuse. Es war ein
winziges, fensterloses Zimmer, das mit seinen vier Stühlen schon überfüllt
wirkte.
Nachdem eine Beamtin die
Gefangene in einen der Besucherräume gebracht hatte, durften auch die
Polizisten eintreten. Hackenholt musterte die junge Russin, die blaue Jeans und
ein T-Shirt trug: normale Anstaltskleidung. Sie war fast so groß wie er und
sehr schlank. Ihre langen blonden Haare mit den auffällig rostrot gefärbten
Strähnchen trug sie offen. Augen und Mund waren geschminkt. Sofort fragte sie
ihn nach einer Zigarette. Ihre Aussprache war geprägt von dem harten Akzent der
Osteuropäer. Hackenholt schüttelte den Kopf.
Er sah sich im Zimmer um. Der
Raum war in einem luftigen Zartgelb gestrichen, die Einrichtung bestand aus
zwei quadratischen Tischen mit je vier Stühlen; alles aus freundlich-hellem
Ahornholz. Hackenholt ging zum Fenster und blickte durch die Stäbe des noch aus
Jugendstilzeiten stammenden, schön geschwungenen Gitters in den Hof. Ein Stück
Rasen, schlanke Bäume und eine graue Betonmauer. Selbst der alte rote
Backsteinbau hatte sich in der Hitze der letzten Tage aufgeheizt, sodass es in
dem Zimmer stickig war. Im Gegenlicht des Fensters sah man winzige Staubflocken
durch die Luft wirbeln. Hackenholt drehte sich wieder um.
»Wie lange sind Sie schon in
Untersuchungshaft?«
»Seit drei Wochen.« Ihre
eisblumenblauen Augen blitzten ihn an. »Was wollen Sie von mir?«
»Frau Orlowa, wer kümmert sich
in Ihrer Abwesenheit um Ihre Wohnung?«
Ihre Augen verengten sich zu
Schlitzen. Sie war auf der Hut. »Niemand. Warum sollte man sich auch darum
kümmern müssen? Ich besitze nicht viel.«
»Haben die Nachbarn vielleicht einen
Schlüssel oder ein Freund oder eine Freundin?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Aber jemand muss Ihnen doch ein
paar Wäschestücke und Ihre Schminksachen vorbeigebracht haben«, insistierte
Hackenholt.
Wieder schüttelte sie den Kopf,
sah ihn jedoch nicht mehr an. Stattdessen malte sie gelangweilt mit dem
Zeigefinger Kreise auf den Tisch. »Was wollen Sie?«, wiederholte sie.
»Wir haben Grund zu der Annahme,
dass in Ihrer Wohnung eine Straftat verübt worden ist.«
Ihr Kopf schoss nach oben. »Was
ist passiert?«
»Solange die Spuren nicht
ausgewertet sind, können wir noch nichts mit Sicherheit sagen. Aber es wurden
eine kaputte Mülltonne, einige Werkzeuge und jede Menge Zementbrocken gefunden.
Außerdem stank es nach Verwesung.« Hackenholt machte eine Pause, um der jungen
Frau Gelegenheit zu einer Reaktion zu geben, doch sie hatte den Kopf schon
wieder gesenkt. Es war unmöglich, ihren Gesichtsausdruck zu deuten. »Nun stellt
sich für uns die Frage, ob Sie etwas mit dem zu tun haben, was passiert ist,
das heißt, ob die Tat begangen wurde, bevor Sie festgenommen worden sind, oder
ob sie den Wohnungsschlüssel jemandem gegeben haben, der dafür verantwortlich
sein könnte.«
Sie reagierte nicht.
»Frau Orlowa, Sie haben schon
genug Schwierigkeiten. Wer war in Ihrer Wohnung? Wer außer Ihnen hat einen
Schlüssel?«
»Ich habe nichts dazu zu sagen.«
Ihre Finger malten wieder Kringel auf den Tisch.
Die jahrelange Erfahrung im
Umgang mit Beschuldigten hatte Hackenholt zu erkennen gelehrt, wann er aus
jemandem nichts mehr herausholen konnte. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren,
drückte er die an der Wand angebrachte
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