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Die dunkle Seite

Die dunkle Seite

Titel: Die dunkle Seite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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war zu Tränen gerührt. Solwegyn für meine Ideen zu entflammen war fast noch einfacher. Siehst du, Andre oder Andi oder Andreas, da wären wir also. Laß es dir gutgehen. Bis irgendwann mal. —
    Das heißt, da wäre noch eine winzige Kleinigkeit, nur wenn es keine Umstände macht. Du weißt, ich falle nicht gern zu Last, aber ... Gott, wie peinlich! Könntest du mich wohl ein bißchen unterstützen? Wo es dir so gut geht und mir leider gar nicht. Du mußt nicht viel dafür tun, und was du tun mußt, habe ich vorbereitet. Wie manʹs unter Freunden tut... Also, du gehst morgen, wenn alle Welt wieder in die Hände spuckt, in deine kleine private Schatzkammer oder auf die Bank und hebst... sagen wir, dreißig Millionen ab. Nicht Francs, mein Lieber! Hahaha! Schelm! Wir reden von guter alter deutscher Währung. Mir ist aber auch mit Gegenwerten gedient. Falls du noch welche von den Klunkerchen hast, pack sie ein. Alle, daß keines verlorengeht. Begriffen? – Das ist ja schön. Ich habe einen Flug für dich gebucht, die Maschine geht um fünfzehn Uhr fünfzig ab Charles de Gaulle und ist um siebzehn Uhr in Köln, Air France Flug 723. Du hast das Geld beziehungsweise die Steine dabei, das Telefon und den Schlüssel. Sobald du den Sicherheitsbereich verlassen hast, werde ich dich auf dem Funktelefon anrufen, also sieh zu, daß es eingeschaltet ist.
    Von da an folgst du meinen Instruktionen. Hast du auch das begriffen?
    Man fragt ja nur. — Ach, und noch was! Versuch nicht, mich aufs Kreuz zu legen. Komm alleine, und wehe, du bringst jemanden mit. Ich wäre sonst gezwungen, deinem Schwesterchen, das du so lieb hast, dies und jenes zu entfernen. Sagen wir, pro Stunde Verspätung so ein Zehlein. Sie hat ein bißchen gemuckst, als ichʹs abgeschnitten habe, aber wer denkt bei dem ganzen Streß noch an Betäubung! – Au weh, au weh, au weh! Der Schwester fehlt ein Zeh! Und fehlen alle zehne, dann gehtʹs ihr an die Beine ... nein, mein Freund, das wirst du nicht wollen, oder? Und Nicole will es auch nicht. Was meinst du, Schwesterchen ?«
    Marmann kniete zusammengesunken vor dem HiFi‐Turm und hör te zum drittenmal das Band ab. Und zum drittenmal schluchzte Nicole auf und schrie:
    »Andi, bitte! Er bringt mich um. Er will mich in Stücke schneiden, bitte, Andi, ich ...«
    Dann wieder Lubolds Stimme:
    »Sie ist sehr tapfer, deine kleine Schwester. Also enttäusche sie nicht. Keine Tricks, keine Polizei, nichts, was mich verärgern könnte. – Au revoir, mon ami. Komm mich bald besuchen, ich back auch einen Kuchen, nehm Marzipan und Nougat fein und tu die Schwester mit hinein. Hahahaha!
    Mormon, alter Franzose! Kopf hoch!«
    Das Band lief aus.

    Marmann schaltete den Rekorder ab und preßte die Stirn gegen den Turm.
    Immer noch zitterte er am ganzen Körper. Er wagte nicht, zu seinem Schreibtisch zu gehen und den Zeh anzuschauen. Ihm war hundeelend.
    Gleich würde Nadine mit den Verträgen kommen, und seine Frau, er würde Madame ins Gesicht sehen müssen, sie würde ihn fragen, ob ihm besser sei, und er würde lächeln müssen und sagen, ja, Schatz, alles bestens, ah, Nadine, die Verträge, nehmen Sie Platz, wollen mal sehen ...
    Marmann straffte sich und ging mit steifen Schritten zu seinem Schreibtisch.
    Sein Blick fiel auf den Zeh.
    Tränen schossen ihm in die Augen. Er rannte hinaus über den Flur in die Toilette, schloß hinter sich ab und erbrach sich.

13.00 Uhr. Hyatt
    Bathge hielt einen Schreibblock in der Hand und saugte abwechselnd an einer Zigarette und einem Stift. Als er Vera sah, legte er beides weg und stand auf.
    Sie schmiegte sich an ihn und drückte ihn ebensoschnell wieder weg, bevor er sie küssen konnte. Es saßen nicht viele Leute im klimatisierten Foyer. Dennoch fühlte sie sich mit einemmal unangenehm öffentlich. Die Ereignisse der letzten Nächte ankerten in Gewässern, von denen niemand Kenntnis zu haben brauchte. Nur dort galten die Gesetze der Insel. Und auch nur für den Augenblick. Spä ter würde sich verschiedenes zeigen.
    In den wenigen Stunden seit dem gemeinsamen Frühstück, dem zweiten in so kurzer Folge nach Jahren selbstgewählter Isolation, war ihr Hochgefühl einer nervösen Mattigkeit gewichen. Ihr Ordnungssinn war gestört. Es gefiel ihr, Bathge zu sehen, ihn zu riechen und zu berühren, ihn zu erwägen. Zugleich aber registrierte sie eine Verdunkelung ihres inneren Horizonts, an dem sich ihre Perspektiven bislang klar abgezeichnet hatten. Der sie beauftragt hatte, war ein

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