Die dunkle Seite
verantwortlich.«
Lange Zeit hielt Katya ihren Blick auf Vera geheftet. Als sie endlich sprach, waren ihre Worte schwer von slawischem Akzent. Darin schwang ein Unterton mit, der unmöglich mißzudeuten war. Gib mir eine Waffe, sagte der Unterton, und ich bringe das Miststück um.
»Die da.« Katya Solwegyn deutete auf Vera. »Sie lügt.«
»Warum glauben Sie, daß sie lügt?« fragte Menemenci sanft. »Sie hat lediglich ihren Klienten geheimgehalten. Dazu war sie verpflichtet.«
Katyas Oberlippe kräuselte sich.
»Sie sagt, kommt von Marmanns Eltern. Ymir sagt, lügt. Er hat Angst.«
»Vor Frau Gemini?«
»Vor dem Mann, der Üsker tötet. Sagt, dreißigtausend. Die da sagt, zuviel!«
Vera konnte Katyas Wut und Trauer mit Händen greifen. Sie stand auf.
Katya wich zurück.
»Es stimmt«, sagte Vera leise. »Ich habe einen schrecklichen Fehler gemacht, und ich kann ihn nicht wiedergutmachen. Ohne mich würde Ihr Mann noch leben.«
Katyas Lippen begannen zu beben.
»Aber ich schwöre, ich hatte keine Ahnung ...«
»Lüge«, zischte Katya. Sie sah aus, als wolle sie Vera gleich an die Gurgel springen.
Vera blieb stehen und breitete die Hände aus.
»Okay. Ich weiß, daß Sie mich am liebsten umbringen würden.
Versuchen Sie wenigstens, mir zu glauben. Ich kann nichts rückgängig machen, aber ich kann helfen, den Mörder Ihres Mannes zu finden. Das wollen Sie doch?«
Sie war nicht sicher, ob Katya überhaupt zuhörte. Aus ihrem Brustkorb entrang sich ein Knurren.
»Wir werden Lubold kriegen«, sagte Vera. »Ich verspreche es Ihnen. Er wird nicht ungestraft...«
Weiter kam sie nicht. Während sie noch sprach, wirbelte Katya herum, riß unter Tränen die Tür auf und rannte nach draußen. Menemenci warf Vera einen undefinierbaren Blick zu und lief Katya hinterher, gefolgt von den Beamten vor der Tür.
Mit einemmal war sie allein.
Vera sah sich mit aufgerissenen Augen um. Ihr blieben nur Sekunden, aber es konnte reichen für eine Flucht aus dem Waidmarkt.
Lauf!
Ihr Körper bog sich. Die Anspannung ließ ihre Muskeln kontrahieren. Eine Minute, und sie wäre draußen, fünf Minuten bis zur Schaafenstraße. Kein Polizist würde ihr Tempo auf langen Strecken mithalten können. Dann in den Boxster springen ...
Und weiter?
Unsinn. Ihr Anwalt würde sie rauspauken. Die Fahndung lief. Für sie war ohnehin alles zu spät. Sie schüttelte den Kopf, fühlte die Müdigkeit zurückkehren und ließ sich auf einen der Stühle sinken.
Menemenci kehrte zurück. Er blieb ihm Türrahmen stehen und sah auf Vera herab.
»Es tut mir leid«, flüsterte sie.
Er zuckte die Achseln. »Mitleid kommt immer zu spät.«
Vera schwieg.
»Sie hatten übrigens recht«, sagte Menemenci nach einer Weile.
»Ihr Anwalt wird in einer Stunde hier sein. Ich weiß tatsächlich nicht, wie lange ich Sie hierbehalten kann.« Er lächelte. »Aber ich werde jede Minute herausschinden, die ich kann. Und gnade Ihnen Gott, Sie haben mich angelogen.«
16.45 Uhr. Vera
Ihr Anwalt kam mit zweistündiger Verspätung. Als sie das Polizeipräsidium endlich verlassen durfte, fühlte Vera sich vollkommen ausgebrannt. Die portable Station in ihrer Hand, die sie ihr gnädigerweise zurückgegeben hatten, kam ihr albern und nutzlos vor.
Sie selber kam sich nutzlos vor. Sie dachte an Katya Solwegyn und fühlte sich scheußlich.
»Irgendwelche Auflagen?« fragte sie.
»Solange Sie in Köln bleiben, dürfen Sie sich frei bewegen«, erwiderte der Anwalt, während sie dem Parkplatz des Präsidiums zustrebten.
Sie zog die Stirn in Falten.
»Was heißt das, solange ich in Köln bleibe?«
Er machte eine Geste des Bedauerns.
»Ich habe Menemenci gesagt, was ich von seinen Methoden halte.
Aber natürlich waren mir die Hände gebunden. Sie hätten die Aussage verweigern können, warum mußten Sie ihm halbe Romane erzählen?«
»Ich habe ihm gesagt, was er wissen mußte, mehr nicht«, erwiderte Vera ärgerlich.
»Hätte das nicht Zeit gehabt?«
»Nein.«
Der Anwalt fischte nach seinen Autoschlüsseln. »Menemenci hat glaubhaft dargelegt, daß es da ein paar häßliche Verdachtsmomente gegen Sie gibt«, sagte er. »Ich konnte Sie rauspauken, weil die Beweislast nicht ausreicht, daß Sie tatsächlich einen Mörder geschützt haben, aber...«
»Aber?«
»Man geht von bedingter Fluchtgefahr aus.« Er sah sie mit offenem Vorwurf an. »Ehrlich, Vera, ich mußte mir das Maul in Fransen quatschen. Was wollen Sie mit einem Anwalt, wenn Sie ihn nicht machen
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