Die dunkle Seite
Nachdem Strunk gekündigt hatte, mußte sie wieder alles alleine machen.
Sie beschloß, das Treffen wahrzunehmen. Falls Bathge weitere Informationen für sie hatte, würde sich der Weg auf alle Fälle lohnen.
Kurz überlegte sie, ob sie Bathge sympathisch finden sollte.
Hinter einer Dose Kekse entdeckte sie endlich die Filter, füllte einen davon mit Kaffeepulver, goß Wasser in die Maschine und schaltete sie ein. Nach wenigen Sekunden begann die Maschine zu gurgeln und zu zischen. Sie ging zurück in ihr Büro.
Unsympathisch war er jedenfalls nicht.
10.18 Uhr. Präsidium
Den Vormittag über spazierte Roth, wann immer er Zeit hatte, in alle möglichen Zimmer. Er lobte die erfrischende Wirkung des Gewitters, das in der Nacht krachend und blitzend über Köln hereingebrochen war, ließ sich zum Kaffee einladen und zog das Bild hervor.
Niemand wußte etwas über Marmann. Niemand kannte sein Gesicht. Diejenigen, die ihn damals festgenommen und verhört hatten, waren alle versetzt worden. Marmann schlummerte als Akte im Archiv und als Datei im Speicher.
Roth hatte nichts anderes erwartet. Er überschlug im Geiste die Menge Kaffee, die er getrunken hatte, kam auf fünf Tassen und befand das als genug.
Er würde Vera sagen, daß sie woanders suchen mußte.
Auf dem Weg in sein Büro kam ihm Krantz entgegen. Roth moch te ihn nicht sonderlich. Ein ewig schlechtgelaunter Kahlkopf. Arbeitete mit dem dicken Kommissar zusammen, dessen Nachname Mementschi war oder so ähnlich.
Dennoch wünschte Roth ihm einen guten Morgen, obgleich es fast zwölf war.
Krantz blieb stehen.
»Wüßte nicht, was an dem Morgen gut sein sollte.«
»Tja.« Roth bemühte sich um eine mitfühlende Miene. »Die Welt ist schlecht.«
»Sie ist grauenhaft«, erwiderte Krantz. Er ging langsam weiter.
Roth schloß sich ihm an. »Haben Sie von der Mordsache Üsker gehört?«
»Der Türke, den sie totgefoltert haben?«
»Mein Fall«, sagte Krantz und kniff die Lippen zusammen. »Hab mich nicht gerade drum gerissen.«
Roth senkte seine Stimme. »Ist es wahr, was die Zeitungen geschrieben haben?«
»Das mit der PKK? Quatsch.«
»Ich meine, was die mit ihm gemacht haben.«
»Der, die, keine Ahnung. Ja, Üsker hatte lieben Besuch, er war nicht wiederzuerkennen.«
»Schrecklich.«
»Wollen Sie Bilder sehen? Ich bin gerne bereit, diese entzückende Erfahrung mit aller Welt zu teilen.«
»Offengestanden, nein ...«
Sie erreichten den Fahrstuhl. Krantz zog ein Päckchen Zigaretten hervor und stellte fest, daß es leer war. Sein Gesicht nahm endgültig den Ausdruck düsterster Verzweiflung an.
Roth wandte sich zum Gehen um. Dann entschied er sich anders und bot Krantz eine von seinen an.
Krantzʹ Stirn glättete sich. Er nahm die Zigarette und steckte sie in den rechten Mundwinkel. Roth gab ihm Feuer.
Vor ihnen schoben sich die Aufzugtüren auseinander.
»Kommen Sie«, sagte Krantz. »Ich lade Sie auf einen Kaffee ein.«
Schon wieder.
»Ich müßte eigentlich zurück«, sagte Roth zögernd.
»Dann einen Espresso. Geht schnell. Wir haben auf der Etage einen Automaten, der mischt Kaffee mit Kakao. Gar nicht so übel.«
Während sie gemeinsam nach unten fuhren, dachte Roth, daß er Krantz nun eigentlich auch das Foto zeigen könnte.
Krantzʹ Büro lag im ersten Stock. Als sie eintraten, glaubte Roth zuerst, in einen Bazar geraten zu sein. Jeder Winkel war vollgestellt mit irgendwelchen Sachen.
»Was tun Sie hier?« fragte er.
Krantzʹ Arm beschrieb eine Geste, die gleichermaßen allumfassend wie resignierend wirkte.
»Persönliches Hab und Gut von Üsker.«
»Warum ist das nicht bei uns?«
»Die Spurensicherung hat schon das meiste. Das hier untersuchen wir auf Anhaltspunkte aus seiner Vergangenheit.« Er deutete hin‐
über auf eine Metaplanwand. »Fotos und Briefe. Zeug, das er in einer Kiste verwahrt hielt. Viel hat er nicht besessen. Milch?«
»Was?«
»Wollen Sie Milch in Ihren Espresso?«
»Äh ... nein, danke.«
»Warten Sie, bin gleich zurück.«
Krantz verschwand nach draußen auf den Gang. Roth rieb sich die Nase und bedauerte es, hergekommen zu sein. Der Mann mochte zehnmal Espresso für ihn holen, das machte ihn nicht sympathischer. Er fingerte nach der Kopie in seiner Jackentasche und hoffte, sich schnell wieder verdrücken zu können, ohne unhöflich zu wirken.
Krantz ließ auf sich warten.
Langsam ging Roth vor der Metaplanwand auf und ab. Er hatte schon zuviel Zeit vertrödelt. Auf seinem Schreibtisch stapelte
Weitere Kostenlose Bücher