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Die dunkle Seite

Die dunkle Seite

Titel: Die dunkle Seite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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sich die Arbeit nicht weniger als hier.
    Pech für Vera.
    Seine Finger bekamen die Kopie zu fassen und zogen sie hervor.
    Im gleichen Moment fiel sein Blick auf die Metaplanwand.
    Und da war ...
    Er konnte es nicht glauben!
    »So, zweimal Espresso!«
    Hastig fummelte Roth die Kopie wieder in seine Innentasche und wandte sich um.
    »Das ist aber nett.«
    »Naja.«
    Krantz trat vor seinen Schreibtisch und machte sich zwischen Stapeln von Akten zu schaffen.
    »Wir kommen keinen Schritt weiter«, sagte er. »Da wird einer bei lebendigem Leib zerschnippelt, und wir haben nicht die Ahnung einer Spur.«
    »Wann haben Sie ihn gefunden?«
    »Vergangenen Samstag.«

    Roth deutete auf die Metaplanwand. »Und diese Fotos hier ...«
    Krantz sah auf und kam zu ihm herüber. Sein Finger tippte energisch gegen das Bild, das Roth so sehr in Bann geschlagen hatte.
    »So! So hat die arme Sau mal ausgesehen.«
    »Das ist Üsker?«
    »Das war Üsker!«
    Roth starrte das Foto an.
    »Danke für den Kaffee«, murmelte er.

10.56 Uhr. Ossendorf
    Sie war aufs Geratewohl hingefahren, aber offenbar kam sie zur falschen Zeit.
    Vera schellte noch einmal und wartete. Ihr Blick wanderte über die braunen und anthrazitgrauen Reihenhäuser zu beiden Seiten. Fenster und Türen auf Öffnungen reduziert, fast zwanghaft sachlich. Mit Vorgärten, in denen Ganzjahrespflanzen ein zurechtgestutztes Leben führten. Sie fragte sich, ob man den eilig hochgezogenen Nachkriegsbauten nicht wenigstens eine Andeutung von Charme hätte verleihen können. Nichts Aufwendiges. Nichts, was die Bauarbeiten in die Länge gezogen hätte. Nur eben soviel, daß Häuser draus geworden wären und keine Kästen.
    Aber vielleicht hatten sie damals ohne Liebe gebaut aus Angst, es könne erneut alles in Trümmer fallen. Die Mühe schien nicht zu lohnen. Noch einmal etwas schaffen, das man lieben könnte, nur um es dann wieder zu verlieren, da bediente man lieber den Kopf und ließ das Herz außen vor. Die Vernunft war freudlos, aber unverwundbar.
    Vera fröstelte trotz der Hitze.
    Ein Fensterchen war in die Tür des Einfamilienhauses eingelassen.
    Dahinter strafften sich billige weiße Gardinen. Ihr Gesicht spiegelte sich in dem Glas. Mit zusammengezogenen Brauen drehte sie leicht den Kopf und betrachtete sich im Halbprofil. Was sie sah, beunruhigte sie, ohne daß sie zu sagen wußte, warum. Sie beschloß zu gehen.
    Im selben Moment wurden hinter der Türe Schritte laut.
    »Was wollen Sie?« rief eine Stimme dumpf von innen.
    Also doch.
    »Mein Name ist Gemini«, sagte Vera. »Ich bin auf der Suche nach Andreas Marmann.«
    »Der wohnt hier nicht.«
    Vera lächelte freundlich. Sie wußte, daß sie durch das Fensterchen beobachtet wurde.
    »Ich weiß, daß er hier nicht wohnt«, sagte sie. »Könnte ich vielleicht mit Ihnen sprechen?«
    »Wer sind Sie?«
    »Ich bin Privatdetektivin und ...«
    »Eine Detektivin? Verschwinden Sie!«
    Vera runzelte die Stirn und verstaute das Lächeln wieder in der Requisite. So kam sie nicht weiter.
    »Frau Marmann?«
    Schweigen.
    »Sie sind doch Frau Marmann?«
    Hinter der Tür war ein Schlurfen zu hören, dann ein unterdrücktes Husten.
    »Die Polizei interessiert sich für Ihren Sohn«, log Vera. »Es wäre besser, wenn wir uns kurz unterhalten. Ich meine, es wäre besser für Sie und Ihren Sohn.«
    Kein Laut.
    »Ich kann Ihnen vielleicht helfen.«
    Es verging ein weiterer Augenblick der Stille. Dann hörte Vera das Zurückschnappen des Riegels und das Klacken der Kette.
    Langsam schwang die Türe auf.
    Vera mußte den Kopf senken, um der Frau ins Gesicht sehen zu können, die jetzt vor ihr stand. Die Alte war krumm vom Rheuma.
    Das spärliche graue Haar trug sie streng zurückgekämmt und zu einem Knoten gebunden. Mißtrauische Augen blinzelten sie zwischen zugeschwollenen Lidern an.
    »Was ist denn nun so wichtig?« fragte sie barsch.
    Vera versuchte es wieder mit Lächeln.
    »Darf ich einen Augenblick reinkommen?«
    »Hm.« Frau Marmann legte den Kopf schief, kniff die Augen noch mehr zusammen und sah nach hinten.
    »Kurt?«
    Ein Mann trat aus dem Dunkel der Diele. Vera schätzte ihn mindestens so alt wie die Frau. Trotzdem wollte er nicht zu ihr passen.
    Er war hochgewachsen und schlank, fast athletisch, mit vollem schwarzem Haar und schmalem Schnurrbart. Eindeutig hatte er einmal sehr gut ausgesehen.
    Und ebenso eindeutig war er der Vater des Mannes auf dem Foto.
    »Alles ist immer wichtig«, sagte er grußlos. »Alle wollten uns damals helfen

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