Die dunkle Seite
Tempo.
Wenige Sekunden später war er wieder an ihrer Seite. Verspiegelte Brille, sonnenbankgegerbt. Durchaus gutaussehend. Goldschmuck auf der glänzenden Brust.
»So allein?« keuchte er. Offenbar machte ihm das Klima zu schaffen.
Sie ignorierte ihn.
»Redest wohl nicht mit jedem, was?«
»Hau ab.«
Das Grinsen wurde breiter. Er rückte näher an sie heran.
»Warum so unfreundlich, Süße? Wir können doch ein Stück zusammen laufen.«
Vera biß die Zähne aufeinander.
»Hey! Lach doch mal. Ich heiß Luigi. Du wirst mich mögen. Alle mögen mich.«
Sie sah ihn an und grinste zurück.
»Zusammen laufen?« fragte sie. »Ein Stück?«
»Ein großes Stück«, nickte Luigi. »Und dann ...«
»Ist gut.«
Blitzschnell schoß ihre Rechte zu ihm hinüber. Sie packte sein Ohr und zog es nach unten. Luigi schrie vor Überraschung und Schmerzen auf. Er versuchte sich zu befreien, während er verkrümmt und fluchend neben ihr herstolperte.
»Süßer Luigi«, zischte Vera. »Dann wollen wir mal sehen, was du drauf hast.«
Sie spannte die Muskeln und spurtete los, ohne den Jogger loszulassen. Luigi schlug nach ihr. Vera zog ihn weiter nach unten, bis sein Kopf auf Höhe ihrer Hüfte war.
»Du Mistvotze!« schrie Luigi. »Laß mich los. Ich schlag dich zusammen, ich ...«
Vera knurrte wütend und steigerte ihre Geschwindigkeit, bis sie über den ausgetrockneten Boden dahinfegten, sie mit kraftvollen, geschmeidigen Bewegungen, Luigi neben ihr eine lächerliche Erscheinung, zu beschäftigt mit Laufen, um sich wehren zu können, außerstande, sich loszumachen. Wann immer seine Hände hochfuhren, um sie zu packen, drückte sie zu und riß heftiger an seinem Ohr.
Der Knorpel knackte zwischen ihren Fingern.
Der Italiener heulte und schrie. Abermals legte sie Tempo zu und fühlte, wie er neben ihr erschlaffte.
»Was ist?« fuhr sie ihn an. »Machst du schlapp?«
»K ... kann nicht mehr ...«
»Du wolltest doch mit mir laufen. Auf einmal nicht mehr? Was ist denn los mit euch Kerlen?«
«... bitte ...«
Sie zerrte ihn ein weiteres Stück mit, angestarrt von den Spaziergängern, bis er sich plötzlich an die Kehle faßte und heftig taumelte.
Er schaffte es, ihr sein Gesicht zuzuwenden. Der Blick war glasig, die Zunge hing heraus.
Endlich ließ sie ihn los. Sofort schlug er der Länge nach hin und blieb zuckend und keuchend liegen.
Vera lief weiter, ohne noch einen Blick an ihn zu verschwenden.
Sie fühlte sich etwas besser.
Dienstag, 24. August
8.55 Uhr. Vera
Als sie das Vorzimmer betrat, war Strunk nicht da. Mit bösen Vorahnungen ging sie weiter in ihr Büro.
Auf ihrem Schreibtisch lagen zwei Briefe.
Der eine war Strunks fristlose Kündigung. In dem anderen entschuldigte er sich für seinen Tonfall und teilte ihr mit, er habe seinen letzten Job in diesem Arbeitsverhältnis mit aller Gewissenhaftigkeit erledigt. Ein Andreas Marmann sei im Großraum Köln weder in einem Hotel noch in einer Pension abgestiegen. Er bedauerte die unerfreuliche Entwicklung ihrer Zusammenarbeit und wünschte ihr alles Gute.
Er hatte es keine drei Monate ausgehalten.
Immerhin. Zwei Wochen länger als sein Vorgänger.
Vielleicht sollte sie aufhören, Männer einzustellen. So schlecht war Strunk im Grunde nicht gewesen, nur daß er es nicht fertiggebracht hatte, einer Frau zuzuarbeiten.
Aber sie wollte keine Frau.
Einen Moment lang spielte sie mit dem Gedanken, Roth anzurufen und sich bei ihm auszuheulen. Aber sie wußte, was er sagen würde.
Hör auf, deine Angestellten büßen zu lassen, dann werden sie bleiben.
Sie würde schuld sein. Wie immer.
Achselzuckend ging sie ins Vorzimmer, um Kaffee zu machen.
Der Anrufbeantworter blinkte. Sie drückte »Message« und suchte zwischen Würfelzucker und Kaffeepulver nach den Filtern.
»Bathge hier. Gehtʹs Ihnen gut?«
Sie horchte auf.
»Wenn es Ihnen paßt, würde ich Sie gerne heute mittag treffen. Sagen wir um zwölf. Ich erwarte Sie unterhalb der Bastei am Rheinufer. Mir ist noch etwas eingefallen, das Sie vielleicht wissen sollten.« Er machte eine Pause. »Ich hoffe, es ist kein Problem, wenn ich so einfach über Ihre Zeit verfüge. Falls Sie bis ein Uhr nicht da sind, werde ich wieder gehen und nachmittags noch mal anrufen. Aber es wäre schön. Bis dann.«
Vera überlegte. Sie hatte in anderen Fällen verschiedenes zu recherchieren. Eine Scheidungssache, wiederholte Langfingerei in einer Werbeagentur am Hohenzollernring, Sabotage in einer Firma für Detektoren.
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