Die dunkle Seite
aus dem hinteren Teil der Fläche, bis er fast senkrecht stand. Der ganze Tisch war eine Datenbank mit mehreren, größtenteils ausfahrbaren Monitoren. Er bot Zugriff auf diverse Verzeichnisse, Karteien und Enzyklopädien, Übersetzungsprogramme, einfache Analyseprogramme für Fasern, diverse Proben und Fingerabdrücke, Stimmerkennungsprogramme und eine ausgefeilte Grafik‐Software zur Erstellung virtueller Porträts. Über Satellit wurden zudem vierundsechzig Fernsehkanäle eingespeist.
Das Ding war eine Spezialanfertigung von IBM und eigentlich unerschwinglich. Daß es trotzdem in ihrem Büro stand, verdankte sie dem Umstand, für IBM zu arbeiten. Sie hatte einige Fälle von Unterschlagung aufgedeckt und millionenschweren Schaden von dem Unternehmen abgewendet. Der Leiter der Abteilung Künstliche Intelligenz mochte sie und hatte sich dafür stark gemacht, daß sie sich anstelle einer regulären Bezahlung etwas aus dem Spielzeugladen der Entwicklung aussuchen durfte, das ihrer Arbeit dienlich wäre.
Veras High‐Tech‐Besessenheit obsiegte. Sie verliebte sich in den Tisch und bekam ihn.
Sie ließ das Programm ihre Kontakte bei der Bundeswehr aufrufen und einige Nummern selektieren. Der Computer wählte und stellte die Verbindung zu einem Oberstleutnant her, der seit kurzem die Schule für Personal in integrierter Verwendung in Köln‐Longerich leitete. Er wußte nichts über eine Gruppe namens ZERO. Auch der zweite Versuch brachte nichts Neues, außer daß sie sich eine Viertelstunde lang anhören mußte, auf welche Söldnerverbände man in Bosnien gestoßen sei und was sie angerichtet hätten. Ihr Kontaktmann, ein Major, der eineinhalb Jahre in Dubrovnik stationiert gewesen war und unter Einsamkeit und Depressionen litt, trank.
Trinker waren gute Informanten. Er beharrte darauf, jede Gruppierung zu kennen, und bezweifelte, daß ZERO überhaupt existierte.
Mehrfach riet er Vera, ihre Fähigkeiten in den Dienst der Bundeswehr zu stellen. Bevor er eine weitere Viertelstunde mit Kasernenkriminalität rumbringen konnte, schaffte es Vera, ihm mit warmen Worten zu danken und das Gespräch abzubrechen.
Nummer drei war nicht am Platz. Ein Feldwebel aus Bonn, Panzerdivision. Vera vertiefte sich in die Akten der anderen Fälle, die seit Bathges Besuch und Strunks Kündigung liegengeblieben waren, und überließ dem Computer alle weiteren Versuche, eine Verbindung herzustellen.
Nach zwanzig Minuten meldete sich die Dienststelle des Feldwebels und verband sie.
Vera erklärte dem Mann, wonach sie suchte.
»Ich dachte, ZERO sei in alle Winde verstreut«, wunderte sich der Feldwebel.
»Also gibt es die Gruppe?«
»Es gab sie. ZERO war eigentlich keine typische Söldnertruppe, ich würde eher sagen, eine ... Agentur für Spezialisten.«
»Ist einer, der gut schießen kann, ein Spezialist?«
Der Feldwebel lachte. »Das würde ich im Zweifel hoffen. Ja, ich denke schon.«
»Und kennen Sie jemanden, der Kontakt zu ZERO hatte?«
»Nein. Aber ich kenne jemanden, den Sie fragen könnten. Ein pensionierter General der Fremdenlegion in Orleans. Umgänglicher alter Knabe. Soweit ich mich erinnere, sind viele von der Fremdenlegion zu ZERO gegangen.«
»Ich hörte, ZERO sitze in Marokko.«
»Das weiß ich nicht. Rufen Sie meinen französischen Freund an.
Bestellen Sie ihm schöne Grüße und sagen Sie ihm, der Krieg sei vorbei.«
Er gab ihr den Namen und die Nummer. Vera holte sich einen Kaffee und versuchte ihr Glück.
Es dauerte eine Weile, dann wurde der Hörer abgenommen. Eine dünne Stimme meldete sich. Sie erklärte dem General auf franzö‐
sisch, was sie von ihm wollte. Er hörte ihr geduldig zu und sagte auf deutsch:
»Unterhalten wir uns in Ihrer Sprache, Mademoiselle. Ca ne te déranges pas?«
»Madame, bitte. Ist mein Französisch so schlecht?«
»Nein«, erwiderte die dünne Stimme. Ein kratziges Lachen schloß sich an. »Aber ich bin Deutscher. Nur sehr aus der Übung nach den vielen Jahren. Ich würde sehr gerne einmal wieder deutsch reden.«
»Natürlich.«
Ein Deutscher. Davon hatte der Feldwebel nichts gesagt.
»Die Deutschen haben immer schon den größten Teil der Legion gestellt«, sagte der General. »Mehr als jedes andere Land.«
»Wie lange sind Sie schon dabei?« fragte Vera.
»Fast mein ganzes Leben. Jetzt nicht mehr, aber mein Leben ist auch vorbei. Wie kann ich Ihnen helfen?«
Sie bestellte ihm die Grüße des Feldwebels und fragte ihn nach ZERO.
Der General lachte noch mehr.
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