Die dunkle Seite
durch.
15.20 Uhr. Konvoi
Sie näherten sich dem Objekt sehr langsam, auf äußerste Vorsicht bedacht. Ganz geheuer war dem Scharfschützen dabei nicht, aber er hatte nun mal so entschieden. Natürlich wußte er, daß der Techniker recht hatte. Ihr Auftrag lautete, auf schnellstem Wege den Stützpunkt anzusteuern. Vor allem den Techniker brauchten sie dort und den Wagen.
Inzwischen jedoch, da die Mutter aller Schlachten ihre Söhne fliehen und kapitulieren sah, fühlte er sich den Regularien von Befehl und Gehorsam immer weniger verpflichtet. Saddam höchstpersönlich hätte einem amerikanischen GI vor der Nase herumspazieren können, ohne daß der Mann den kleinen Finger gerührt hätte ohne entsprechende Order.
So verhielt sich kein Söldner. Söldner waren anders. Sie waren keine Soldaten, sondern Abenteurer. Sie gehorchten, aber ebenso waren sie in der Lage, zu handeln, und trafen Entscheidungen.
Sie waren frei.
Und da war etwas im Sand.
Etwas, das jetzt, da sie näher heranfuhren, die Konturen eines langgestreckten Fahrzeugs mit gewaltiger Schnauze und Kettenrä‐
dern annahm. Daneben tauchte ein weiteres Gebilde auf, einem kleinen Panzer ähnlich, und dahinter ...
»Du meine Güte!« entfuhr es dem Fahrer.
Sie umkreisten das massige Gefährt, das halb eingegraben auf dem Rücken lag, und starrten es an. Seitlich des Kühlers ragten die Läufe beweglicher Maschinengewehre in den Himmel. Die komplette rechte Seite war wie von einer Riesenfaust aufgerissen.
»Was ist denn da passiert?« rief der Techniker ungläubig.
»Minen!«
»Das waren keine Minen«, sagte der Scharfschütze. Er wies mit dem Gewehr auf das kleine panzerartige Fahrzeug. Die Unterseite hatte sich in ein Gewirr aus verbogenen Metallstreben und verschmorten Kabelsträngen verwandelt. Stellenweise schien der Stahl geschmolzen zu sein. »Nur Raketen knacken solche Kaliber von Kampfwagen.«
»Wenn das Kampfwagen sind«, rief der Fahrer, »was ist dann das da«
Er hielt auf ein drittes Vehikel zu, das ein Stück abseits der Panzerfahrzeuge auf der Seite lag. Der Scharfschütze hob den Kopf und packte das Maschinengewehr fester. »Keine Ahnung. Fahr dichter ran.«
Er lief durch den Sand zu dem Fahrzeug, die Waffe im Anschlag, als der Jeep noch nicht ganz stand. Hinter sich hörte er das Geräusch des Motors ersterben, dann, wie die anderen ihm folgten.
Sekunden später standen sie um das absonderlichste Wrack versammelt, das sie je zu Gesicht bekommen hatten.
»Du kriegst die Motten!« Der Techniker blinzelte verwirrt. »Wie kommt denn so was in die Wüste?«
»Was ist das überhaupt für ein Ding?«
Der Scharfschütze ging mit langsamen Schritten bis dicht an den Kühler heran und legte den Kopf schief. Etwas war darauf eingraviert.
»Gentlemen«, rief er überrascht, »wir haben die Ehre mit einem Rolls Royce.«
»Was? Auf Raupenketten? Wer baut denn so was?«
»Keine Ahnung. Sieht aus, als hätten sie zwei von den Kisten aneinander geschweißt und auf das Fahrgestell eines Panzerspähwagens gesetzt.«
»Das macht doch keinen Sinn«, sagte der Techniker.
»Doch«, erwiderte der Fahrer. »Für die Ölscheichs macht so was Sinn. Würde mich nicht wundern, wenn sie das Scheißding mit Blattgold überzogen hätten.«
»Gib dich keinen Hoffnungen hin«, meinte der Scharfschütze.
»Wenn, ist sowieso alles geschmolzen.«
Er umrundete das zerfetzte Unikum mit entsicherter Waffe und fragte sich, ob er verrückt war. Es war unvernünftig, daß sie diesen Zwischenstop eingelegt hatten. Überall konnten Minen verborgen sein, Überlebende in den Trümmern lauern, um sie aus dem Hinterhalt abzuknallen wie Kirmesenten. Dennoch fühlte er ein seltsames, teils beglückendes, teils verstörendes Glühen in der Magengrube, einen lustvollen Selbstzerstörungstrieb, dem er sich nicht zu widersetzen vermochte. Den Tod herauszufordern, sich immer absurderen Situationen auszuliefern, konnte zur Sucht werden. Der Scharfschütze wußte, daß ein fataler Größenwahn von ihm Besitz ergriffen hatte, wie ihn Menschen durchleiden, die Flugzeugabstürze oder Schiffskatastrophen unverletzt überlebt haben. Jede Konfrontation mit der Gefahr, jeder Sieg steigert diesen Wahn. Das Leben wird öde ohne Gefahr und lebenswert erst angesichts der tödlichen Bedrohung. Eine Schlange, die sich in den Schwanz beißt, um sich eines Tages aus Versehen aufzufressen.
Der Schweiß lief ihm in die Augen. Ungeduldig rieb er ihn heraus, ging ganz um das Fahrzeug herum
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