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Die dunkle Seite

Die dunkle Seite

Titel: Die dunkle Seite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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umherschweifen. Zwischen den Gebäuden taten sich schmale Schluchten von Gassen auf, die zum Wasser führten. Sie ging näher an eine heran und sah hinein. Trotz der Hitze wehte ihr daraus ein kühler, modriger Geruch entgegen. Ihr Blick verlor sich im Unbestimmten. Am Ende war ein Streifen weißlichen Himmels auszumachen und etwas, das vielleicht zu einem Schiff gehörte.
    Vera besann sich einen Moment, dann trat sie in den Schatten der Gasse und schritt eilig aus.
    Nach wenigen Metern begann es zu stinken. Sie mußte über undefinierbare Abfallhaufen steigen und achtgeben, daß sie sich an verbogenen Metallresten nicht die Knöchel zerschnitt. Weiter vor ihr huschte etwas über den Weg und verschwand zwischen Ansammlungen von Unrat.
    Es war vielleicht der unauffälligste und schnellste Weg, um auf die andere Seite zu gelangen. Aber mit Sicherheit auch der widerlichste.
    Vera hielt die Luft an und ging schneller. Als sie endlich das Ende der Gasse erreicht hatte, entluden sich ihre Lungen stoßartig. Sie hätte viel darum gegeben, ins Sonnenlicht treten zu dürfen, das sich eben wieder durch die Wolkenschleier hindurchkämpfte, aber für den Moment blieb sie im Schatten und streckte nur den Kopf vor.
    Sie blickte hinaus auf die Alte Werft.
    Hier hinten sah es nicht besser aus als vorne, von wo sie gekommen war, aber wenigstens lag nicht soviel Zeug herum. Rechts zeichneten sich zwei Kräne dunkel gegen den Himmel ab. Im Wasser direkt vor ihr lag ein Frachter vor Anker. Das Schiff stand hoch aus dem Wasser. Es war entladen und machte einen verkommenen Eindruck.
    Vorsichtig spähte sie zur anderen Seite. Ein Stück weiter entwuchs dem Haupthaus ein Seitentrakt bis hin zum Fluß. Er war durchbrochen von einer Durchfahrt. Dahinter zog sich ein Stück offenes Gelände am Fluß entlang und führte auf eine schmale, kopfsteingepflasterte Straße, die einen Knick beschrieb und hinter dem Gebäudekoloß verschwand. Vera schätzte, daß sie auf die Rheinuferstraße führte.
    Unter der Einfahrt stand der BMW.

    Sie überlegte.
    Bathge war irgendwo da drin. Was tat er hier? Suchte er das gottverlassene Gelände auf, um jemanden zu treffen? Hielt er sich hier versteckt?
    Er war nirgendwo in Köln gemeldet. Wahrscheinlich hatte er hier nicht mal einen festen Wohnsitz.
    Und er wollte nicht gefunden werden.
    Dazu eignete sich die Alte Werft allerdings hervorragend.
    Einen Moment lang erwog sie, sich in das Gebäude zu schleichen und Umschau zu halten. Aber Bathge mußte nicht unbedingt merken, daß sie ihn an der Angel hatte. Zumal sie erhebliche Zweifel daran hatte, das Richtige zu tun.
    Er hatte sie gebeten, ihm zu vertrauen. Er war ihr Klient, und er hatte ein Recht darauf, anonym zu bleiben, wenn er es wollte.
    Aber er hatte auch gelogen.
    Nein, nicht gelogen.
    Er hatte nicht alles gesagt.
    Warum empfand sie plötzlich solche Skrupel ? Was war mit dem Foto? Mit Üsker? Warum sollte sie ihm vertrauen, nur weil er ein Bündel Bares über ihren Tisch geschoben hatte?
    Was hatte Simon Bathge vor?
    Das ist alles nicht dein Bier, sagte sie sich.
    Sie hatte versprochen, seinen Fall weiter zu bearbeiten. Von nun an würde sie ihn sehen können, vorausgesetzt, er hielt ihr Feuerzeug in Ehren. Bei seinem Zigarettenkonsum stand nichts anderes zu erwarten.
    Es wurde Zeit, sich wieder um Andreas Marmann zu kümmern.
    Aussteigen konnte sie immer noch.
    Lautlos drehte sie sich um und ging zurück zu ihrem Wagen. Von Zeit zu Zeit sah sie sich um. Niemand folgte ihr. Bei dem Gedanken, jemand könne ihr aus den toten Fensterlöchern nachstarren, überkam sie ein ungehagliches Gefühl, aber sie ging deswegen keinen Schritt schneller. Bathge konnte nicht wissen, daß sie ihm gefolgt war. Und selbst wenn, würde er sie nicht erkennen.
    Als sie sich auf den Fahrersitz fallen ließ, riß sie sich als erstes die Perücke vom Kopf und betrachtete sich im Spiegel. Wie gut es tat, das Ding loszusein. Wie gut, ein kurzes, borstiges, blondes Fell zu haben.
    Dann fiel ihr Blick auf die dünne weiße Narbe.
    Sie glitt in den Blazer und rief Roth an.
    »Du kommst mir gerade richtig!« knurrte er.
    »Ich weiß, daß du sauer auf mich bist«, sagte Vera. »Aber du hättest nein sagen können.«
    »Ich habe nein gesagt. Du hast bitte gesagt. Ich habe wieder nein gesagt, und hast dreimal bitte gesagt. Quälgeist!«
    »Und?«
    »Was und?«
    »Hast duʹs?«
    »Ja, habe ich. Und das ist der letzte Liebesdienst, den ich dir in dieser Sache erweise, daß wir uns

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