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Die dunkle Seite

Die dunkle Seite

Titel: Die dunkle Seite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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mußten, standen nur noch vereinzelte Säulen.
    Dazwischen verloren sich auf dunklem Teppichboden die absonderlichsten Möbelstücke in den Schatten. Skulpturen kniender Frauen und Männer, einander zugewandt, unter gläsernen Tischplatten. Kerzenständer in Gestalt verschlungener Paare. Zwei überdimensionierte Körper mit ausgebreiteten Armen, die unter der Decke schwebten und deren Finger sich um gläserne Kugeln bogen, die pulsierendes rotes Licht ausstrahlten. Wo die Wände nicht durch Spiegel verdeckt wurden, hingen Bilder, Teppiche und Seidentücher mit erotischen Darstellungen. Diwane lagerten um einen goldenen Flügel, auf dem mehrere Kandelaber standen.
    Und überall Pflanzen.
    Sie rankten sich um die Klauen der Diwane, wucherten über die Statuen und krochen die Säulen empor, wo sie unter der Decke bizarre Blüten trieben. Wahrscheinlich bestand der größte Teil aus Plastik, aber im Halbdunkel schienen sie zu leben und sich sanft zu wiegen.
    Gleichermaßen belustigt wie in Bann geschlagen von dem Anblick drang Vera tiefer in die dämmrige Welt des Red Lion ein und versuchte sich vorzustellen, was hier abends los sein mochte. Es nahm kein Ende. Im Zentrum der Kitschorgie ein Brunnen mit kopulierenden Steinfiguren. Nicht in Betrieb, allerdings von unten beleuchtet, wodurch er rot glimmte. Gegenüber der riesigen Fensterfront zum Garten, durch deren Vorhänge kaum Licht drang, die Bar, tief schwarz. Dahinter reckte die riesige Gestalt eines Baphometen mit geschwungenen Hörnern und ausgebreiteten Schwingen Arme und
    Klauen. Das Monstrum sah aus, als wolle es sich jeden Moment ü ber den Tresen stürzen. Auch seine Augen leuchteten in fahlem Rot.
    Es saß hoch genug, daß Vera seinen gewaltigen Phallus sehen konnte. Das Ziegenmaul war leicht geöffnet und entblößte ein spitzes Raubtiergebiß. Die Kreatur schien zu lächeln.
    Sie fragte sich, wie Solwegyn an diese Verkörperung teuflischer Geilheit gelangt war. Im Laufe ihrer Arbeit hatte sie einige Nachtclubs von innen gesehen. Die meisten waren bieder und plüschig ausgestattet und seit dem Ende des Wirtschaftswunders nicht mehr renoviert worden. Manche versuchten sich in Exotik, andere schwelgten in Neon, Stahl und Glas. Keiner aber glich dieser verwunschenen Höhle, die sich ausnahm wie eine Mischung aus Satanskirche, botanischem Garten und Operettenfundus.
    Vera umrundete den Brunnen und trat an die Bar.
    »Ist jemand da?« rief sie.
    Die Luft war schwer von süßem, aufdringlichem Parfüm. Sie lauschte auf Schritte oder Stimmen.
    »Herr Solwegyn?«
    Immer noch blieb alles still. Vera sah sich um. Wenige Meter von ihr entfernt öffnete sich ein Mauerbogen zu einer Treppe, die nach unten führte. Von dort drang stärkeres Licht herauf.
    Sie trat bis an den Bogen und spähte hinab. Die Treppe mündete in einen kleinen Vorraum, mehr konnte sie nicht erkennen. Mit zö gernden Schritten stieg sie die Stufen hinunter. Der Raum verengte sich zu einem Durchgang. In den Wänden rechts und links öffneten sich große kreisrunde Löcher. Vera bückte sich und sah hinein. Boden, Wände und Decke der dahinterliegenden Räume waren gepolstert und durchbrochen von Hunderten kleiner Leuchtkörper.
    Abgesehen von einigen Kissen ging die Einrichtung gegen Null. Es roch muffig und nach Ausdünstungen.
    Das hatte sie schon anderswo gesehen, vor Jahren während einer Razzia. Zimmer wie diese, ausgestattet mit Mikrophonen, reagierten auf Dezibelstärken. Je lauter es wurde, desto heller leuchteten und blinkten die Lichter. Eine elektrische Orgie, bei der es darum ging, sich im Stöhnen und Schreien gegenseitig zu überbieten. Sie richtete sich auf und ging weiter. Der Gang verbreiterte sich und mündete in einen großen Raum. Ketten mit Ringen und Haken baumelten von der Decke. Absonderliche Maschinen ließen nur Vermutungen über ihren Sinn und Zweck zu, aber keine der damit verbundenen Vorstellungen war im geringsten angenehm.
    Nachdenklich betrachtete Vera das Instrumentarium des Schreckens und überlegte, ob sie wieder nach oben gehen sollte.
    Aber irgend jemand hatte ihr aufgedrückt.
    Vor ihr bauschte sich ein roter Vorhang. Sie schob ihn mit beiden Händen auseinander und trat hindurch.
    Ihr erster Eindruck war der eines Tempels. Die gegenüberliegende Wand wurde von einer sitzenden Frau eingenommen, die den Baphomet im Erdgeschoß an Ausmaßen noch übertraf. Sie saß mit gespreizten Beinen da. Aus ihrer Mitte ergoß sich Wasser in ein kreisrundes beleuchtetes

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