Die dunkle Seite
Brücken hinter sich abbrechen. Sie entwurzeln sich. Verleugnen ihre Frauen, ihre Kinder, ihre Eltern, ihr Land. Sie haben nur noch sich, und darum werden sie bereit sein, für die Legion zu sterben.«
Solwegyn machte eine Pause und nickte dann bekräftigend. »In keiner anderen Armee der Welt wird soviel Wert darauf gelegt, daß Sie freiwillig bleiben. Sie haben Ihre körperliche Hochleistungsfä higkeit erlangt. Sie verfügen über umfangreiche militärische Grundkenntnisse, sind geübt im Nahkampf und in Gefechtstaktiken und haben sich beim Singen der Legionslieder die Seele aus dem Leib gebrüllt. Sie wissen, daß jeder Einsatz Ihren Tod bedeuten kann. Kennen die Geschichten der Opfer von Indochina, und was die Viet Minh mit ihnen gemacht haben, bevor sie starben. Und wenn Sie dann immer noch wollen, bekommen Sie das weiße Kepi.
Über solche Männer reden wir. Das ist Andreas Marmann, der kein Interesse mehr daran hatte, sich von seinem Vater als Versager titulieren zu lassen. Das ist Üsker, der in Deutschland keine Arbeit mehr bekam. Das sind die anderen, die mit ihnen gingen.«
»Welche anderen?« hakte Vera ein.
Solwegyn fuhr sich durch den Bart und schwieg. Dann nahm er langsam die Brille ab. Sein linkes Auge war eine milchigweiße Masse. Das rechte blickte Vera ruhig und prüfend an.
»Kommt es mir nur so vor, oder stellen Sie die falschen Fragen?« sagte er langsam.
»Ich will einfach nur wissen, wer Marmann begleitet hat, als er zur Legion ging«, sagte Vera. »Wer ihn kannte. Wenn Sie mir nicht helfen, tut es vielleicht ein anderer. Wenigstens die Chance müssen Sie mir geben.«
Solwegyn runzelte leicht die Stirn. Dann wandte er sich zu Katya um und sagte etwas in einer Sprache, die Vera nicht verstand. Katya nickte und ging zu einem antiken Schrank, dem sie eine Kristallkaraffe entnahm.
»Portwein von 1954«, sagte Solwegyn. »Wollen Sie ein Glas? Sagen Sie nein, das Zeug ist selten.«
»Dann sage ich ja.«
Katya brachte die Karaffe und zwei Gläser. Sie zog den Pfropfen heraus, schenkte eines der Gläser halbvoll und gab es Solwegyn.
Dann ließ sie die dunkle Flüssigkeit in das zweite Glas laufen und stellte es vor Vera hin. Ihre Bewegungen waren geschmeidig und von eigenartigem Zauber. Die ganze Zeit über ruhte ihr Blick auf der Besucherin. Sie verschloß die Flasche, stellte sie zurück und bezog wieder Stellung.
Vera versuchte sie einzuschätzen. Auf ihren Zügen lag unverändert das halb laszive, halb entrückte Lächeln. Sie wirkte undurchdringlich.
Eine Sphinx.
Stand sie dort in der Absicht, Solwegyn zu schützen?
Vera ergriff das Glas, trank und schnalzte anerkennend mit der Zunge.
»Sie sind sehr freundlich«, sagte sie. »Auf wieviel Freundlichkeit kann ich hoffen, was Marmann angeht?«
Solwegyn schüttelte den Kopf.
»Ich bin nicht freundlich. Machen Sie mir ein Angebot.«
Fast hätte sie sich verschluckt. Sie hatte mit allem gerechnet, nur nicht mit solcher Direktheit.
»Ich kann Ihnen kein Angebot machen ohne Rücksprache mit meinen ... Klienten«, sagte sie und versuchte, sich ihre Überraschung nicht anmerken zu lassen.
»Dann klären Sie das. Dreißigtausend halte ich für angemessen.«
Dreißigtausend!
Bathge würde begeistert sein.
Sie stellte das Glas ab.
»Das ist verdammt viel. Warum wollen Sie mir nicht einfach helfen ?«
»Weil ich glaube, daß Sie mich belügen«, sagte Solwegyn ruhig.
»Ich könnte sehr schnell in Erfahrung bringen, ob Marmanns Eltern Sie wirklich beauftragt haben. Das ist Sache eines Anrufs. Was meinen Sie, würde die Wirklichkeit Ihrer Behauptung standhalten?«
Vera starrte ihn an.
»Ist es so wichtig für Sie zu wissen, wer mich beauftragt hat?«
»Versetzen Sie sich in meine Lage. Ich lese in der Zeitung, Üsker sei tot. Jemand scheint Vergnügen daran zu finden, ehemalige Fremdenlegionäre abzuschlachten, und irgendwie beschleicht mich das dumpfe Gefühl, den Täter zu kennen. Zumindest sein Umfeld.
Nun tauchen Sie hier auf und suchen Marmann, ebenfalls Legionär a.D. Sie sagen, Sie sind Detektivin. Weiß ich, ob Sie lügen? Was wollen Sie von Marmann? Was wollen Sie von mir? Was will dieser ominöse Killer?«
»Was sollte er von Ihnen wollen?«
»Sie begreifen nicht!« In Solwegyns Stimme mischte sich ein deutlicher Anflug von Ungeduld. »Die Methoden, mit denen Üsker umgebracht wurde, sind mir bekannt. Das bißchen, was in der Zeitung stand, reicht, um die Handschrift eines Profis zu erkennen. Beunruhigenderweise
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