Die dunkle Seite
blickte entnervt zur Seite und hob die Hand.
»Ich lasse Sie meine Antwort kurzfristig wissen. In Ordnung?«
»Okay.«
Solwegyn brummte etwas und nickte. Vera erhob sich und blieb unschlüssig vor dem seltsamen Paar stehen.
»Darf ich Sie noch etwas fragen, Herr Solwegyn?«
»Bitte.«
»Sie sagten, das Umfeld des Mörders sei Ihnen bekannt. Könnte ...
wer könnte Ihrer Meinung nach den Mord begangen haben?«
Solwegyn hatte seine dunkle Brille wieder aufgesetzt. Er hob den Kopf. Plötzlich erschien er Vera wie ein fettes altes Insekt. Eine Spinne im Zentrum ihres flickbedürftigen Netzes, groß und furchteinflößend, aber zu träge, um ein neues zu weben.
»Ich weiß es nicht«, sagte er tonlos.
»Glauben Sie, Marmann weiß es?«
»Sie stellen immer noch die falschen Fragen. Wollen Sie hören, ob Marmann dazu fähig wäre? Ob er es war? Auch das weiß ich nicht.«
»Er wurde verwundet und ...«
»Genug!« Solwegyn winkte ihre Worte hinweg wie Fliegen. »Er wurde verwundet, ja. Haben Sie Geduld. Ich lasse Sie meine Antwort wissen, basta!«
»Wäre er dazu fähig?« fragte sie hartnäckig.
Solwegyn nahm die Frage ausdruckslos entgegen. Dann sagte er ruhig: »Folter ist kein Job für Dummköpfe. Die Viet Minh haben ihre Gefangenen gekreuzigt. Die Füße berührten nicht den Boden.
Die Hände haben sie ihnen hinter dem Pfahl zusammengebunden, so daß sie sich daran festhalten mußten, um nicht nach unten zu rutschen. Dann haben sie ihnen die Rückenhaut horizontal eingeritzt und an den Querbalken genagelt. Mit jedem Zentimeter, den die Opfer nach unten rutschten, weil sie keine Kraft mehr hatten, den Pfahl zu umklammern, zogen sie sich die Haut ein Stück mehr vom Rücken. Sie häuteten sich selber bei lebendigem Leib, aber es dauerte Tage, bis sie starben. Es ist eine Wissenschaft, Menschen zu foltern, verstehen Sie? So zu foltern, daß die Opfer erst sterben, wenn man es wünscht. Es ist die Hölle. Man muß ein Künstler sein, um so foltern zu können, und ein Teufel, um es zu tun. Ich wüßte nur einen, der unter Umständen fähig gewesen wäre, diese Kunst anzuwenden.«
Vera hielt den Atem an. Sie traute sich nicht, ihn nach dem Namen zu fragen.
»Lubold«, sagte Solwegyn. »Ihm hätte ich es zugetraut. Allenfalls ihm. – Aber er kann es nicht gewesen sein.«
»Warum nicht?«
Solwegyn erhob sich. »Ich hörte, er sei tot. Einige haben das bedauert. Aber ich glaube, es ist besser so. Er war kein guter Mensch.
Er hat niemandem gutgetan.« Er neigte den Kopf. »Bitte entschuldigen Sie mich jetzt. Katya bringt Sie zur Tür. Ich rufe Sie an.«
Vera zog eine Visitenkarte hervor und legte sie auf den Tisch.
»Ich bin rund um die Uhr zu erreichen.«
Katya trat in ihr Blickfeld. Sie sah Vera unter langen, schwarzgetuschten Wimpern an. Ihre Lippen lächelten, aber ihr Blick schien zu sagen, daß sie sich zum Teufel scheren solle.
Vera sah zurück und machte einen Kußmund.
Das schien Katya aus der Fassung zu bringen. Sie prallte nach hinten und verzog angewidert die Lippen.
»Danke.« Jetzt war es an Vera zu lächeln. »Die Welt ist schön und voller Liebe, nicht wahr? Ich finde schon hinaus.«
15.32 Uhr. DeTechtei
Sie trat aus dem Fahrstuhl im zweiten Stock, um die DeTechtei aufzuschließen, und sah einen Mann vor der Glastür stehen. Er war dick und ziemlich groß, hatte strähniges graues Haar und schwitzte.
»Wollen Sie zu mir?« fragte sie, während sie sich an ihm vorbeischob und aufschloß.
Der Mann lächelte.
»Wenn Sie Vera Gemini heißen, will ich zu Ihnen.«
»Da haben Sie Glück. Kommen Sie rein.«
Sie ging voraus, öffnete den stählernen Wandschrank im Vorzimmer und stellte nacheinander Kaffeepulver, Filter, Milch und Zucker neben die Maschine.
»Haben Sie einen Termin?« fragte Vera. Sie wußte, daß er keinen hatte, aber es klang besser als: Wer sind Sie? oder Was wollen Sie?
Der Dicke sah sich um und deutete hinter sich zur Tür.
»Was ist eine DeTechtei?« fragte er freundlich.
»Eine Detektei mit technischem Know How.« Sie füllte den Tank der Maschine mit Wasser. »Ich laufe den Leuten nicht in die Schlafzimmer nach. Die DeTechtei Gemini macht alles via Elektronik und Fernüberwachung. Ist sauberer.«
Der Mann hob die Brauen.
»Beeindruckend.«
Vera drehte sich zu ihm um und lächelte geschäftsmäßig. »Was kann ich für Sie tun? Außer Ihnen einen Kaffee anzubieten?«
»Danke, Kaffee ist nicht gut für mich. Aber Sie könnten mir ein paar Minuten Ihrer
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