Die dunkle Treppe
Füße an jeweils ein Stuhlbein gefesselt. Dicke Fesseln umschlangen ihre Beine und den Oberkörper. Ein Halstuch aus Polyester schnitt ihr in die Mundwinkel. Auf einem Metalltisch in der Ecke stand eine Lampe, die er ausschaltete, sobald er mit ihr fertig war. Oben an der rechten Wand befand sich ein Lüftungsgitter. Ein Eimer mit ihren Ausscheidungen stand unter dem Stuhl. Einmal hatte sie einen Blick auf eine Treppe erhascht, die unmittelbar vor dem Raum in die richtige Welt hinaufführte. Sie hatte keine Ahnung, welcher Teil der Welt das war. Nach allem, was sie wusste, hätte es durchaus Bulgarien sein können.
Sie kam zu dem Schluss, dass es nur einen einzigen Weg gab, das Seil zu lockern: indem sie Finger, Zehen und Füße so ausgiebig wie möglich spreizte, wand und drehte. Das tat sie jeden Tag stundenlang – erst mit den Händen, dann mit den Füßen, schließlich mit dem ganzen Körper. Sich winden, sich ausruhen. Sich winden, sich ausruhen.
Um nicht den Mut zu verlieren, ergänzte sie diesen Plan um einen weiteren. Der Knebel – den wollte sie loswerden, um nach Hilfe zu schreien. Sie rieb ihr Kinn an der Schulter. Sie kaute und nagte an dem Polyesterstoff herum.
Sie wackelte mit dem Stuhl. Vor und zurück, nach links und nach rechts. Sie wollte herausfinden, ob er sich vielleicht bewegen ließe. Ob die Fahrradkette sich lockerte. Aber die Kette hielt stand.
Sie versuchte, den Stuhl auf den Boden knallen zu lassen: die Vorderbeine hoch und mit Wucht nach unten. Ein Geräusch machen. Aber das Geräusch, das sie auf diese Weise erzeugte, war lächerlich leise, und außerdem stand sie so kurz davor, den Stuhl zum Umfallen zu bringen, dass sie es mit der Angst zu tun bekam. Wenn der Stuhl umfiele, befände sie sich in einer noch schlimmeren Lage als jetzt.
In jenen schrecklichen ersten Wochen hatten Celias Anstrengungen keinerlei Resultate erbracht. Die Seile umschlossen sie immer noch fest und unnachgiebig, der Knebel hatte sich nicht gelockert, und der Stuhl stand in derselben Position wie zuvor.
»Du hast dich wohl nicht gewaschen. Was für ein schmutziges Mädchen du bist«, sagte er während einem seiner Besuche im Dämmerlicht. »Wir sollten uns langsam Gedanken über ein Bad machen.«
Nach diesem Kommentar verbrachte Celia Stunden damit, ihre Füße nach dem Eimer unter ihrem Stuhl auszustrecken. Während ihrer dritten Schicht (so nannte sie mittlerweile die langen Phasen ihres leidenschaftlichen Bemühens) geschah es: Der Eimer kippte um und ergoss seinen gesamten Inhalt über ihre Füße und den Boden. Dann schaukelte sie so lange und so heftig hin und her, dass der Stuhl schließlich mit einem Knall zu Boden fiel. Durch den Sturz wurde sie zwar ohnmächtig, aber als sie wieder zu Bewusstsein kam, lächelte sie – soweit der Knebel das zuließ –, weil ihr Plan aufgegangen war: Sie schwamm in ihren eigenen Ausscheidungen, würde tagelang quasi darin marinieren, und dann würde sie zweifellos sehr dringend baden müssen.
16
Verdammt, so hatte er sich das nicht vorgestellt.
Er war spät vom Einkaufen zurückgekommen, und dann hatte er auf einmal etwas getan, das er nicht vorgehabt hatte.
Eine Woche lang war es klasse gewesen.
Jede Nacht hatte er sie zur gleichen Zeit besucht. Wenn sein Arbeitstag sich zum Ende neigte, war er immer schon ganz ungeduldig gewesen, und die Erregung hatte in ihm gepocht. Abends fiel es ihm schwer, seine normalen Besorgungen zu erledigen, während er auf den geeigneten Moment wartete, sich in den Keller zu schleichen. Er betrat das Haus immer durch den hinteren Garten. Er kletterte über die hohe Mauer, schlich sich über das winzige Rasenstück, öffnete die Tür zur Küche und den Wandschrank in der Diele. Hinter den hoch aufgestapelten Farbeimern verbarg sich eine Tapetentür, die er mit Vorhängeschlössern gesichert hatte. Wenn er wieder ging, achtete er immer darauf, dass sich die Farbeimer ausreichend stapelten. Hinter der zweiten Tür führte eine alte Holztreppe in den Keller hinab. An den kleinen Flur mit dem Zementboden schlossen sich zwei Räume an: ein abgeschlossener und einer ohne Tür.
Trotz seiner Unbeholfenheit war die erste Nacht die beste gewesen. Er war durch den Garten gerobbt, hatte erwartungsvoll die Türen geöffnet – Küche, Diele, Wandschrank – und sie so vorgefunden, wie er sie vormittags zurückgelassen hatte. Er kam sich vor wie ein Vater, der sein neugeborenes Baby zum ersten Mal aufwachen sieht. Als sie die Augen weit,
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