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Die dunkle Treppe

Die dunkle Treppe

Titel: Die dunkle Treppe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Fitzgerald
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dass sie nur einen einzigen Schuh trug. Scheiße.
    Er zog den Reißverschluss zu, rannte die Treppe hoch und in den Flur hinaus, stolperte über eine Bodendiele, rappelte sich in Windeseile wieder auf, zerrte ungeschickt am Griff der Eingangstür und stürzte auf die Straße hinaus. Im ersten Licht des neuen Tages suchte er nach dem verlorenen Beweisstück. Er bückte sich ungeschickt und schaute unter einem Auto nach, stieß sich beim Aufstehen den Kopf, und schließlich – Gott sei Dank! – fand er den Schuh unter einem metallicblauen Honda Jazz, der drei Meter von der Tür entfernt parkte. Er hob den Schuh auf und sah prüfend die Straße hinab. Gerade als er sich sicher war, dass er sonst nichts vergessen hatte und zurückkehren wollte, sah er, dass jemand auf der anderen, an Kensington Gardens grenzenden Seite über die Straße ging. In einer Kurzschlussreaktion warf er den Laufschuh in den nächsten Müllcontainer und kehrte schleunigst ins Haus zurück, um sich wieder seiner eigentlichen Aufgabe zu widmen.
    Der Zwischenfall mit dem Schuh hatte ihn etwas verärgert, und so verschmähte er bei seiner Rückkehr den Stuhl in der Ecke. Er öffnete gleich den Reißverschluss, kniete sich neben den unbeschuhten Fuß, dessen Zehen aus Protest gegen seine Liebkosungen zuckten, und brauchte nur zwei Bewegungen, unglaubliche zwei Bewegungen, ehe er so weit war. »Ah!«, machte er und öffnete die Augen. »Ah! Ah!«, machte er und leckte das Resultat seiner Bemühungen von dem söckchenbekleideten Fuß.

15
    Als sie aufgewacht war, hatte Celia zu träumen geglaubt. Wie damals, als sie im Traum vergessen hatte, Johnny zu füttern und der so abgemagert war und sie so vorwurfsvoll angeschaut hatte, dass sie entsetzt aufgeschrien und ihn an die Wand geworfen hatte. Oder wie damals, als sie mit Gregs bestem Freund geschlafen hatte und er sie erwischte und verließ. Aber diesmal wachte sie nicht auf und drehte sich zu ihrem Mann um, und sie sagte auch nicht: »Greg, ich hatte einen schlimmen Traum. Liebst du mich noch?« Oder zu ihren Jungs: »Guten Morgen, ihr Hübschen! Habt ihr Hunger?« Sie konnte nicht einmal die Hände bewegen, um sich zu kneifen, und wie sehr sie auch nach den Jungs Ausschau hielt – sie waren nicht da. Das Bett war nicht da, und Greg war auch nicht da, und so dämmerte ihr allmählich, dass dies die Realität sei. Sie befand sich in einem dunklen Raum. Hose und Unterhose waren ihr bis zu den Knien herabgezogen worden. In den Stuhl, auf dem sie saß, hatte jemand ein Loch gesägt, unter dem ein Eimer stand. Sie war gefesselt und geknebelt.
    Sie hatte sich in ihrem ganzen Leben keine Gedanken darüber gemacht, wie man sich in einer solchen Situation verhalten solle, und so gab es keine Erfahrungswerte, auf die sie zurückgreifen konnte. Keinen inneren Rückhalt für die ersten Stunden, als sie am heftigsten versuchte, ein Geräusch aus ihrem Inneren nach außen zu bringen, während nur einen Meter von ihr entfernt ein maskierter Mann saß und sie beobachtete. Das Geräusch wollte nicht kommen. Es blieb irgendwo in ihrer Kehle stecken, bloß ein paar Speicheltröpfchen befeuchteten den Stoff, der sich tief in ihre Mundwinkel grub. Sie gab zwar nicht auf, aber nachdem sie stundenlang lautlos geschrien hatte und ihre Handgelenke von der ständigen Reibung der Fesseln schon ganz wund gescheuert waren, hielt sie einen Moment inne, um ein wenig Kraft zu schöpfen. Und als der Speichel ihr vom Mund tropfte und sie sich aufbäumte wie ein tollwütiger Hund mit Maulkorb und Kette, da lächelte er nur.
    ***
    Viel Zeit war vergangen, ehe die Leute über ihr einzogen. In dieser Zeit hatte sie beschlossen, sich auf ihr Überleben zu konzentrieren statt auf ihn und auf das, was er ihr antat. Also drückte sie jedes Mal, wenn er gegangen war, ihr Kinn auf das Medaillon, das an ihrem Hals hing. Es war ein herzförmiges Silbermedaillon an einer Kette mit einem Foto ihrer Familie darin. Sie berührte es mit dem Kinn, um Kraft und Zuversicht zu gewinnen, und dann konzentrierte sie sich mit voller Entschlossenheit auf eines ihrer Projekte.
    Der Stuhl, an den sie gefesselt war, stand in der Mitte eines kleinen, niedrigen, fensterlosen Raums. Ein kunststoffbeschichtetes Kettenschloss von der Art, wie man sie für Fahrräder verwendet, war um eine der Stuhlleisten geschlungen und mittels eines Vorhängeschlosses an einem im Boden verankerten Metallring befestigt. Ihre Hände waren auf dem Rücken zusammengebunden und ihre

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