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Die dunkle Treppe

Die dunkle Treppe

Titel: Die dunkle Treppe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Fitzgerald
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drinnen verdammt kalt.
    Ich ging über den Marmorboden und die weit geschwungene Treppe hinab, die sich um das kleine, tränenförmige Tauchbecken rankte, vorbei an den Duschen und einem mannshohen Spiegel. Aus einem Fenster hoch oben im Massageraum sickerte etwas Licht von der Straße herein. In diesem Schummerlicht sah der Raum sogar noch mehr nach einer Folterkammer aus als tagsüber. Ich fragte mich, wo Fäustling-Woman als Nächstes arbeiten würde. Wie groß war der Bedarf an Menschen mit ihrer Art von Qualifikation? Der Boden war nicht gewischt worden, und Häufchen von Hautkrümeln bedeckten die Oberfläche. Ich ging um die Ecke zu den Dampfräumen und Saunen. Hier in den Eingeweiden des Gebäudes herrschte tiefe Dunkelheit, aber ich wusste, dass es zwei Saunen auf der einen Seite gab und zwei Dampfräume auf der anderen, außerdem einen Wandschrank für Reinigungsmittel am Ende des Flurs. Ich tastete mich zu dem Schrank vor und suchte nach dem Schaltkasten, den zu berühren ich laut Esther nicht ausreichend qualifiziert war. Endlich fand ich ihn. Ich öffnete die kleine Metalltür, drückte einen Schalter und wartete darauf, dass etwas passierte. Einen Moment lang passierte nichts, doch dann begann eine der Saunen zu glühen. Ich versuchte die Glastür der Sauna zu öffnen, aber sie war abgeschlossen. Also ging ich zurück zum Schaltkasten und tastete nach den Schlüsseln, die an der Innenseite der Metalltür hingen. Nachdem ich drei Schlüssel ausprobiert hatte, fand ich schließlich den richtigen.
    In der Sauna legte ich den Schlüssel neben dem Kupfereimer mit Wasser ab, nahm den Schöpflöffel und goss etwas Wasser über die Kohlen. Erst zischten sie und dann dampften sie. Ich beugte mich über die glühenden Kohlen und rieb mir die Hände, bis mich ein lautes Knarren zu Tode erschreckte – es klang wie ein sinkendes Schiff. Als ich mich aus der Sauna schlich, huschte eine Ratte an meinen Füßen vorbei. Ich schrie laut auf, rannte an Massageraum und Duschen vorbei, die Treppe neben dem Tauchbecken hoch, durch Entpannungsbereich und Doppeltür, an der Küche vorbei zur Rezeption.
    Dort wählte ich die Nummer von Papa und Ursula. Die Zahlen erschienen mir wunderschön: so sicher und vertraut.
    »Ursula!«
    »Bron! Wie geht’s dir? Wie steht’s in London?«
    Oje, meine Stimme begann zu zittern. »Ich hab dich lieb, Urs. Wollte nur mal deine Stimme hören.«
    »Du klingst so flach.«
    »Ich wünschte, ich wär’s. Wiege fast sechzig Kilo. Wegen der ganzen Erdnussbutter und dem Lagerbier.«
    »Du hast einen Akzent.«
    »Gar nicht.«
    »Ich überweise dir etwas Geld. Schick mir eine E-Mail mit deinen Kontodaten.«
    »Ich vermisse dich.«
    »Du bist ja ganz aufgebracht. Bronny, sprich mit mir!«
    »Mir geht’s gut. Es ist nur … ach, ich weiß selbst nicht genau.«
    Auf einmal wurde alles in mir aufgewühlt, und ich war völlig durcheinander. Gedanken und Bilder wirbelten durch meinen Kopf. War das alles wirklich geschehen? Hatte ich mich wirklich in einen Mann verliebt, der Menschen umbrachte? Hatte ich wirklich die Schreie einer gefolterten Frau überhört? Standen meine Chancen zu sterben wirklich fünfzig zu fünfzig?
    Natürlich kannten Ursula und Papa nur die letzte dieser Wirbelfragen und glaubten, dass sie allein an meinem aufgebrachten Zustand schuld sei.
    »Bron, du musst Dr. Gibbons anrufen. Das ist doch alles lächerlich. Spring endlich über deinen Schatten.«
    »Ich hab Angst.«
    »Wir sind doch da.«
    »Ich fühle mich so nutzlos.«
    »Für uns bist du mehr wert als alles andere. Wir lieben dich. Weißt du, Mama hat ein gutes Leben gelebt. Sie und Papa haben sich geliebt, und uns haben sie auch geliebt. Du kommst damit klar, wir alle kommen damit klar, solange wir zusammenhalten.«
    »Aber ich sterbe schon seit zwanzig Jahren.«
    »Im allerschlimmsten Fall wirst du zwanzig Jahre leben, und das ist mehr, als du im Moment machst … Papa will mit dir sprechen.«
    Er musste auf Ursulas Schoß gesessen haben … »Bronny, ich hab da was für dich. Gibt es da, wo du bist, ein Fax?«
    Ich sah nach, und tatsächlich: neben dem Computer stand ein Faxgerät. »Ja.«
    »Wie lautet die Nummer?«
    Ich las die Nummer von dem Aufkleber auf der Maschine ab und schaltete das Gerät ein.
    »Ich sollte dir das eigentlich erst nach dem Ergebnis geben, aber du bist ja weggelaufen. Es ist ein Brief von Mami.«
    Ich wartete schweigend. Meine Mutter würde gleich zu mir sprechen. Sie würde etwas sagen, was ich

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