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Die dunkle Treppe

Die dunkle Treppe

Titel: Die dunkle Treppe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Fitzgerald
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des Tropfs, um den sich eine füllige Krankenschwester kümmerte.
    Die füllige Krankenschwester trug eine Uniform, die ihr eine Nummer zu klein war. Demzufolge stand der Knopf vor ihrem mächtigen Busen ständig offen. Der Patient in Nummer zwölf genoss das zweifelhafte Privileg, direkt in ihren Büstenhalter (Doppel-G) schauen zu können, wenn sie sich über ihn beugte und sein schmutziges Krankenhausnachthemd wechselte. Es war nicht nur der angegraute BH, der dem Patienten Kummer bereitete, sondern auch der Luftstrom, der ihm entwich: ein schaler Busengeruch, wie ihn der genesende Herzpatient niemals zuvor erschnuppert hatte, und der ihn sich fragen ließ, ob seine Pumpe vielleicht schon wieder durchdrehte. Sie richtete sein frisches weißes Nachthemd, lächelte ihn an und überließ ihn seinen Versuchen, ein wenig Schlaf zu finden.
    Es war noch nicht lange her, dass Greg das Krankenhaus verlassen hatte. Er hatte lange gezögert, war rausgegangen und wieder reingekommen, rausgegangen und – zu besorgt, um zu gehen – wieder reingekommen. Schließlich hatte ihn die Psychologin aus dem siebten Stock in den Aufzug neben der Schwesternstation geschoben.
    »Versprechen Sie anzurufen!«, hatte Greg noch gesagt, während die Psychologin den Abwärtsknopf drückte.
    »Versprochen«, hatten die füllige Krankenschwester und die Psychologin im Chor geantwortet und zugesehen, wie Gregs ungekämmte Frisur hinter der sich schließenden Aufzugstür verschwand.
    »Tee?«, fragte die Fleischige die Riesige.
    »Nach Hause«, sagte die hochgewachsene Psychologin und verließ die Station. Sie nahm dazu wie immer die Treppe, weil sie betretenem Patienten/Klienten-Schweigen oder, schlimmer noch, einem beflissenen Schwätzchen im Fahrstuhl gern aus dem Weg ging.
    Die Krankenschwester schlürfte in aller Ruhe ihren Tee und blätterte in einem Klatschmagazin (sie legte besonderes Interesse an einem Artikel über Brustverkleinerungen an den Tag). Gerade hatte sie ihre Zeitschrift hingelegt, als ein leises Wimmern aus Zimmer eins drang.
    ***
    Celia hatte die Augen geöffnet. Es war so lange her, dass sie etwas Erfreuliches gesehen hatte – die Decke ihres Schlafzimmers, die Gesichter ihrer Söhne, das Licht der Sonne –, dass sie zu träumen oder tot zu sein glaubte. Immer wenn sie in den letzten Wochen erwacht war, hatte sie einen Moment lang in Ungewissheit geschwebt, ehe die Gerüche und der Schmerz sie unsanft in die Realität zurückgeholt hatten: dass sie ein gefesseltes, langsam dahinsiechendes Sexspielzeug war.
    Eine massige Krankenschwester beugte sich über sie. War das nur Einbildung, so wie sie sich während der letzten fünf Wochen immer wieder Gregs Anwesenheit eingebildet hatte? Wie oft hatte sie die freundlichen Augen und das liebevolle Lächeln ihres Ehemanns heraufbeschworen, den sanften Druck seiner Hand auf der ihren, den weichen Klang seiner tiefen Stimme mit dem schönen schottischen Akzent. Sie brachte ein Lächeln zustande. Sie seufzte einen sanften, glücklichen Seufzer. Sie glaubte, zu träumen.
    »Ich werde sofort dem Arzt Bescheid geben – und Greg werde ich anrufen. Er kann gleich mit Ihren Söhnen hier sein. Ach du liebe Güte!«
    Die massige Krankenschwester lief aus dem Zimmer, um verschiedene Telefonnummern zu wählen.
    Sie kam nicht zurück, wohl aber ein Arzt mit Mundschutz und Kittel. Immer noch unsicher, ob sie wirklich wach sei und lebe, sah Celia prüfend an sich herab. Weiße Bettwäsche. Mit ihrer bandagierten Hand hob sie die Decke hoch. Ihr bandagierter Körper. Sie betastete ihr Gesicht. Mit Ausnahme von Augen, Nase und Mund war alles mit Verbandsstoff bedeckt. Dann sah sie noch einmal zu dem Arzt hoch. Dies war die Realität. Sie hatte es geschafft.
    Die Dinge um sie herum zeichneten sich allmählich klarer ab. Das Zimmer war voller Blumen und Karten. Das Fenster bot eine schöne Aussicht auf die City. Der Boden wirkte hell und sauber – wenn man von der bewusstlosen Krankenschwester auf der Türschwelle einmal absah.
    »Jetzt hättest du es fast geschafft, wie?«, sagte der Mann.

39
    Nach dem ersten Schrecken der Festnahme und des Verhörs durfte er die Polizeiwache Paddington Green als freier Mann verlassen. Beim Hinausgehen lächelte er, denn jetzt war alles klar. Er musste sie nur noch umbringen, ehe sie reden konnte, und dann würde er sich auf den Weg machen. Er hatte ein Auto gefunden und ein Ticket gekauft. Nur diese eine Sache war noch zu erledigen, und dann konnte er in ein

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