Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die dunklen Engel (German Edition)

Die dunklen Engel (German Edition)

Titel: Die dunklen Engel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susannah Kells
Vom Netzwerk:
träge, kam von hinten. Sie drehte sich um. Lewis Culloden hatte sie mit dem stattlichen Fremden gesehen und war herübergekommen, um herauszufinden, wer der Mann war. Er betrachtete ihn mit Widerwillen und gerunzelter Stirn, als spürte er, dass er in ihm einen Rivalen hatte. «Ich glaube, ich hatte noch nicht die Ehre, Sir?»
    Lord Culloden hatte vergessen, dass er diesem Mann an Weihnachten schon einmal begegnet war, und es gab auch keinen Grund, zwischen dem Bediensteten, der den jungen Mann in der Halle entwaffnet hatte, und dem Gentleman, der jetzt neben Campion stand, eine Verbindung herzustellen.
    Sie hatte ihrer Großmutter Verdruss bereitet, indem sie verraten hatte, dass der Mann trotz seiner Kleidung ein Bediensteter war. Doch jetzt, da Lord Culloden neben ihr stand, hatte sie das Gefühl, diese Erklärung unmöglich wiederholen zu können. Sie wollte nicht, dass der Zigeuner von Lord Culloden gedemütigt wurde, denn sie war sich sicher, dass der ihn entrüstet auffordern würde, in den Dienstbotentrakt zurückzukehren. Die Entscheidung lag bei ihr, nicht bei ihm. Die Lüge kam ihr leicht über die Lippen, und sie staunte über sich und war gleichermaßen köstlich amüsiert, als sie sie aussprach. «Dies ist der Prince de Gitan.»
    Culloden wirkte verdutzt. Prinzen waren in der französischen Aristokratie so weit verbreitet wie Grafen in der britischen, doch Lord Culloden gefiel es nicht, dass der großgewachsene Fremde im Rang über ihm stand. Er verbeugte sich kalt.
    Der Zigeuner hatte gelächelt, als sie seinen Titel erfand. Er sprach Culloden auf Französisch an und machte ihm ein Kompliment über seine Braut. Die Entdeckung, dass der Prince de Gitan kein Englisch sprach, schien Seine Lordschaft noch mehr zu reizen. Besitzergreifend legte er Campion die Hand auf den Arm. «Ich glaube, ich bin für die nächste Polonaise vorgemerkt, mein Liebe.»
    «Selbstverständlich.» Sie lächelte ihn an, dann wandte sie sich wieder dem Fremden zu. «Au temple?» Als sie die zwei Worte aussprach, hatte sie das Gefühl, sich schamvoll mit ihm verschworen zu haben, eine Verschwörung, der sie nicht widerstehen konnte.
    Der Zigeuner verbeugte sich. «Au temple, Madame.»
    Culloden zog an ihrem Arm. «Meine Liebe?»
    Sie ließ sich auf die Tanzfläche führen. In wenigen Augenblicken würde sie diesen Ball verlassen. Sie würde das Fest verlassen, das zu Ehren ihrer Hochzeit gefeiert wurde, und in die Dunkelheit hinausgehen, um den Mann zu treffen, der ihr Träume geschenkt hatte, der durch diese Träume spukte und der wieder nach Lazen gekommen war, um sie zu dem Undenkbaren zu verführen. Sie würde zum Tempel gehen.

13
    Die Polonaise war zu Ende. Sie knickste und lächelte Lord Culloden matt an. «Ich fühle mich ausgesprochen schwach.»
    «Schwach?» Er sah sie fragend an.
    «Vielleicht der Champagner?» Sie fasste sich an die Stirn. Schwäche war eine weitverbreitete Entschuldigung, die man von Frauen fast schon erwartete, sodass er sich nichts dabei denken würde. Trotzdem hatte Campion sich dieser Entschuldigung noch niemals bedient. Als er ihr jetzt eine Hand auf die Schulter legte, beschlich sie die scheußliche Vorahnung, dass sie sich von nun an wie ein unglückliches Klagelied durch ihr Eheleben ziehen würde. «Ich lege mich ein Weilchen hin. Dann komme ich wieder.»
    Er verbeugte sich. «Wir werden dich vermissen, meine Liebe.»
    Sie stieg die Treppe hinauf, überquerte die Brücke, die beide Häuser verband, und schlich in ihre Zimmer wie eine Schuldige. Sie spürte ihren Herzschlag. Was sie vorhatte, kam ihr vor wie ein Verbrechen, ein köstliches, heimliches Verbrechen.
    Ihr Dienstmädchen war nicht in ihren Räumen. Campion schloss alle Türen ab, zündete an den tropfenden Stummeln der alten Kerzen neue an, nahm die Straußenfedern aus dem Haar und setzte sich vor den Spiegel, wo sie sich das Gesicht puderte und Lidschatten auftrug. Sie nahm die Tanzkarte vom Handgelenk, betrachtete mit einem schiefen Lächeln die Namen der Männer, die sie enttäuschen würde, und ließ die Karte auf die Frisierkommode fallen. Verschwörerisch lächelte sie ihrem Spiegelbild zu.
    Aus dem Kleiderschrank nahm sie einen langen, mitternachtsblauen Umhang mit Kapuze. Sie lauschte, ob auch sicher niemand im Korridor war, dann drehte sie – sämtliche Sinneswahrnehmungen durch die Aufregung um ein Vielfaches geschärft – den Schlüssel und schlüpfte in das Gewirr von Tudor-Räumen an der Rückseite des Alten

Weitere Kostenlose Bücher