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Die dunklen Engel (German Edition)

Die dunklen Engel (German Edition)

Titel: Die dunklen Engel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susannah Kells
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wie als Einladung für sie ans Ende der Mauer. Dann lehnte er sich zurück, erhob das Glas und lächelte. «Meine Gratulation zu Ihrer bevorstehenden Hochzeit.» Es gelang ihm, die förmlichen Worte mit leiser Ironie zu sagen, ohne Campion zu beleidigen.
    Sie wusste, dass sie nicht bleiben durfte, doch wozu war sie sonst gekommen? Zögernd näherte sie sich dem Tempel und stieg die Stufen hinauf. In den Boden des Tempels waren um einen gewaltigen Halbglobus herum, der aus der Mitte des Fußbodens herausragte, die Tierkreiszeichen eingeritzt. Oben auf dem Halbglobus war England, und ganz oben, wo der Globus zu einem unpraktischen Tisch abgeflacht war, stand das Wort Lazen. Campion ignorierte den Wein. Sie ging links um den Globus herum, um möglichst viel Abstand zwischen sich und den Zigeuner zu bringen. Ihre Füße wirbelten das tote, trockene Laub auf, das sich auf dem Fußboden gesammelt hatte. Stirnrunzelnd sah sie ihn an, als wollte sie zeigen, dass ihre Gegenwart an diesem Ort nicht unvereinbar war mit ihrer Würde. Sie überlegte, was sie sagen könnte, was natürlich klänge und erklären würde, warum sie nicht gleich wieder ging. «Hirondelle kommt aus Kent?»
    Der Zigeuner nickte. Seine Zähne leuchteten weiß in der Dunkelheit. «Aus Hawkhurst. Legen Sie ihr ein paar Wochen ein Martingal an. Das wird sie lehren, nicht mit offenen Augen zu träumen.»
    Campion lächelte. Sie konnte ewig über Pferde reden. «Dann ist sie nicht vollkommen?»
    «Sie wird es sein. Sie ist schnell.»
    Campion spürte ein innerliches Zittern. Wenn er lächelte und sein Gesicht von einer Art spitzbübischen Freude erfüllt wurde, schlug ihr Herz schneller. Unbewegt hatte sein Gesicht etwas Wildes, was aufregend war, doch sein Lächeln deutete an, dass er auch noch eine andere Seite hatte. Sie verbarg ihre Gefühle. «Es tut uns leid, dass mein Bruder nicht hier sein kann.»
    Er lachte. Es kam ihr so vor, als lachte er über die steife Förmlichkeit ihrer Worte. Er trank von dem Wein. «Toby wollte kommen, aber die Franzosen haben ihm aufgelauert. Er ist in Sicherheit, aber er musste sich ins Landesinnere zurückziehen.»
    Er hatte ihren Bruder beim Vornamen genannt, als sei das ganz normal.
    Sie runzelte die Stirn. «Doch Sie sind gekommen.»
    Er lächelte. «Aber ich bewege mich in Frankreich mit Erlaubnis der Franzosen, Mylady, und in England mit der Erlaubnis der Engländer.»
    Die Worte schmerzten sie. Sie nahm an, das sollten sie auch. «Und was macht das aus Ihnen?»
    «Einen Rom.»
    Sie lächelte, setzte sich, mit zaghaften Bewegungen, wie um auszudrücken, dass sie nicht hier sein sollte, auf die Mauer und starrte ihn über die Wölbung des Halbglobus an. «Wie kommt es, dass ein Pferdemeister die Erlaubnis kriegführender Regierungen besitzt, sich in beiden Ländern frei zu bewegen, wie es ihm beliebt?»
    Er wandte sich um und schaute zum Schloss hinüber, das auf einer großen Lichtwelle zu schweben schien. «Weil ich kein Pferdemeister bin, Mylady.»
    «Was sind Sie dann?» Sie merkte, dass sie unter ihrem Umhang zitterte.
    Er nahm Tabak aus seiner Tasche und einen Streifen weißen Papiers und rollte den Tabak hinein. Dann öffnete er seine Zunderbüchse, entzündete einen Funken und pustete auf den verkohlten Zunder, bis eine kleine Flamme aufflackerte. Er beugte den Kopf über die Flamme, und als sie die starken, von der Flamme beleuchteten Züge sah, dachte sie, dass sie noch nie so einen prächtigen Mann gesehen hatte. Rauch wirbelte in die Dunkelheit, als er die Büchse schloss. «Zehn Jahre lang, Mylady, habe ich als Rom gelebt. Dann starben meine Eltern, sie wurden von einem Bauern in einem Graben getötet. Erinnern Sie sich an das Gesetz?»
    Sie nickte. Laut dem Zigeuner-Gesetz, das erst vor zehn Jahren aufgehoben worden war, war es eine Straftat, mit einem Zigeuner zu reden, wogegen der Tod eines Zigeuners niemanden geschert hatte, gewiss keinen Friedensrichter.
    Der Zigeuner stieß mehr Rauch aus. «Der Bauer behauptete, sie hätten sein Kind verkauft. Das war natürlich blanker Unsinn, aber das hat ihn nicht daran gehindert, die beiden zu erschießen. Er hat ihren Wagen durchsucht, und da war kein Kind, nur ich. Er hat versucht, mich zu töten.»
    So beiläufig erzählte er die Geschichte, dass es sie erstaunte. Sie runzelte die Stirn. «Er hat versucht, Sie zu töten?»
    «Mit einem Messer. Ich war im wahrsten Sinne des Wortes keinen Schuss Pulver wert.» Er grinste. «Stattdessen habe ich ihn getötet.

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