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Die dunklen Engel (German Edition)

Die dunklen Engel (German Edition)

Titel: Die dunklen Engel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susannah Kells
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einen kurzen Blick erhaschen konnte. Es gab ein Geheimnis, das sie nicht kannte, und sie hatte das Gefühl, dass diese Menschen, selbst ihr Onkel, über ihre Unschuld lachten. Dann erinnerte sie sich an die einzige Berührung des Zigeuners an Weihnachten. In dieser Erinnerung lag der Schlüssel zu dem, wovon ihr Onkel sprach.
    Sie schaute im Wassergarten nach dem Zigeuner und konnte ihn nicht entdecken. Caleb hatte recht gehabt. Sie hatte im Schatten am Rand ihres Glücks nur einen Geist gesehen. Sie hatte einen Reiter gesehen, mehr nicht, und sie hatte geglaubt, der Reiter müsse er sein. Doch sie hatte sich getäuscht.
    Achilles lächelte sie an. «Du siehst nicht glücklich aus, liebe Campion.»
    Sie lachte. «Ich muss mich zu deiner Mutter setzen.»
    «Dann möchte ich dich nicht länger von ihrer eindrucksvollen Gegenwart fernhalten.»
    Pflichtbewusst suchte sie ihre Großmutter auf, die auf einem kleinen Podium auf der einen Seite des Ballsaals majestätisch Hof hielt. Die verwitwete Duchesse d’Auxigny betastete das Kleid aus gefärbter Pekingseide mit ihren faltigen Händen, rümpfte die Nase und äußerte die Vermutung, dass es «in London zusammengeflickt» worden war?
    «In der Tat, grandmère .»
    Ihre Großmutter trug prächtige schwarze Seide, denn sie trauerte um ihren Sohn, der in Paris guillotiniert worden war. Im Leben hatte die Duchesse ihren Sohn gehasst, doch sein Tod hatte ihr in der Emigrantengesellschaft zu einer gewissen Berühmtheit verholfen. Sie fühlte sich berechtigt, ein unanfechtbares Urteil über die Revolution in Frankreich zu fällen, ein Urteil, das zu hinterfragen niemandem erlaubt war. Ihr livrierter Diener, der an seinem gelben Ärmel ein schwarzes Band trug, stand genau zwei Fuß neben ihr und hielt eine Schüssel mit Pflaumen. Die Duchesse aß sie langsam und beugte sich vor, um die Steine in eine Silberschale zu spucken, die von Madame la Retiffe gehalten wurde, die bei ihr als Gesellschafterin in Diensten stand. Mit einem Finger wies sie auf Achilles, der mit der kleinen Tochter der Marchioness of Benfleet tanzte. «Achilles wird mit jedem Tag dümmer.»
    Madame la Retiffe, die die silberne Schale hielt, zischte wie ein Echo: «Dümmer!»
    Campion verstand nicht, wie jemand Onkel Achilles für dumm halten konnte. «Ich finde es nett von ihm. Er tanzt immer mit den Damen, die sich ausgeschlossen fühlen.»
    Ihre Großmutter achtete gar nicht auf ihre freundlichen Worte. «Es ist lächerlich, an ihn als den Duc d’Auxigny zu denken! Wie ein Hermelinumhang an einem Affen!»
    «Affen!», zischte Madame la Retiffe.
    «Ich finde, er sieht sehr vornehm aus», widersprach Campion.
    «Vornehm! Vornehm! Sein Vater war vornehm, Kind, ganz im Gegensatz zu diesem grinsenden Affen. Ich hätte ihn bei der Geburt ertränken sollen!» Achilles’ Vater war le duc fou gewesen, der Mann, der sich für Gott gehalten hatte, der Mann, der mittels plumper, teurer Apparaturen einfache, kindliche Wunder geschaffen hatte. Die Duchesse spuckte einen weiteren Pflaumenkern aus, der in einem feinen Nebel aus gelblicher Spucke aus ihrem Mund geschossen kam. «Vornehm! Also, das nenne ich einen vornehmen Mann!» Sie lächelte, wodurch der dicke Puder an einigen Stellen ihres runzeligen Gesichts zusammenbackte. «Er muss Franzose sein!»
    Es war kein Geist, kein Wunschbild, was sie im Schatten gesehen hatte.
    Der Zigeuner war gekommen.
    Quer durch den Saal hatte die Duchesse ihn erspäht, und jetzt lächelte sie dem großen, stattlichen Mann, der unbekümmert am Rand der Tanzfläche stand, affektiert zu.
    Sie war nicht die einzige Frau, die ihn bemerkte. An diesem Abend war er nicht wie ein Diener gekleidet, sondern wie ein Gentleman. Seine Kleidung war schwarz, bis auf das fliederfarbene Hemd und die Seidenstrümpfe. Sein Anzug war elegant geschnitten, sein Haar nach hinten gekämmt, und in seinem linken Ohr fehlte der goldene Ring.
    Er war groß und schlank, und er trug einen Degen statt, wie die anderen Männer, einen kleinen Paradedegen. Die Frauen beobachteten ihn über ihre Fächer hinweg. Er war der prächtigste Mann im ganzen Saal, und seine Aura überlegener Unabhängigkeit faszinierte sie.
    «Wer ist das?», fragte die Duchesse.
    Campion war versucht ihr zu erklären, der vornehme Mann, den sie so sehr bewunderte, sei ein Diener. Stattdessen zuckte sie die Achseln. «Ich weiß nicht.»
    «Madame!» Die Duchesse wandte sich ihrer griesgrämigen, blassen, dünnen Gesellschafterin zu. «Ich

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