Die dunklen Engel (German Edition)
lief auf die Ställe zu. Dort, im Schutz der Dienstboten, konnte sie überlegen, was sie als Nächstes tun sollte. Zuerst galt es, sich in Sicherheit zu bringen, dann würde sie angreifen.
Hinter sich hörte sie Rufe, eine Stimme, die aus einem Fenster im Schloss bellte. Sie achtete nicht darauf, sondern packte die baumelnden schweren Siegel mit einer Hand und raffte mit der anderen die langen, weißen Röcke ihres Hochzeitskleides. Sie hörte Schritte auf der gekiesten Auffahrt, unter der Brücke, die das Große Haus mit dem Alten Haus verband. Zwei fremde Männer kamen von dort auf sie zugerannt und schnitten ihr den Weg zu den Ställen ab. Eine Stimme brüllte hinter ihnen her.
Verzweifelt lief Campion weiter, ohne ein einziges freundliches Gesicht zu entdecken. Im Bogen entfernte sie sich von ihren Verfolgern, schlug die Richtung links des Hügels ein, wo einst der Bergfried des Schlosses gestanden hatte, lief zu den Bienenstöcken, um die es an diesem warmen Herbsttag eifrig summte. Hinter den Bienenstöcken erstreckten sich weite Rasenflächen.
Sie wartete bei den Bienenstöcken, bis die beiden Männer grinsend über den Kamm des kleinen Hügels kamen. Dann warf sie einen Stock um und rannte, sobald sie das wütende Summen der ersten Bienen hörte, weiter.
Sie lief vom Schloss weg nach Norden auf das Schwarzdorndickicht von Sconce Hill zu.
Das siegessichere Gebrüll ihrer Verfolger verwandelte sich in Schmerzensschreie. Die Männer waren mitten in die panischen, wütenden Bienen geraten, die um sie herumschwirrten, sie stachen und sich in ihren Haaren und Kleidern verfingen. Die Arme um den Kopf geschlungen, stolperten die beiden Männer blind weiter.
Campion entfernte sich immer weiter vom Schloss, geriet immer weiter weg von da, wo Hilfe war, doch sie hatte keine Wahl. Die Männer, die ihr aus dem Gelben Salon gefolgt waren, hatten bereits den nördlichen Rasen erreicht und liefen in Richtung der Ställe. Scone Hill war Campions nächste Zuflucht.
Sie hörte ihre Rufe und wechselte die Richtung. Ihr Atem ging stoßweise, als sie den unteren Hang hinaufstieg. Die ersten Dornen zerrten an ihren Ärmeln, sie duckte sich und tauchte in den Schatten.
Sie wagte nicht stehen zu bleiben, sondern zwängte sich durch einen überwucherten Pfad, wo Dornen an ihrem seidenen Brautkleid rissen. Sie versuchte, sich nach rechts durchzuschlagen, auf den Hang zu, der den Ställen am nächsten lag, doch das Dickicht war undurchdringlich, und sie war gezwungen, weiter den Hügel hinaufzulaufen.
An einer Bodenerhebung – Zeugnis einer von den Parlamentstruppen im Bürgerkrieg erbauten Festung – blieb sie stehen.
Sie lauschte.
Sie hockte sich in die Überreste eines alten Grabens, in dem einst die Geschütze der Belagerer gestanden hatten, und umklammerte die Siegel, die um ihren Hals hingen.
Sie hörte Rufe. Eine laute, forsche Stimme schien Befehle zu geben, doch sie verstand sie nicht.
Die Dornen hatten ihr die weiße Haube halb vom Kopf gerissen. Sie zog die Nadeln heraus und warf die Haube weg.
Dann hörte sie, dass mit schweren Knüppeln auf das dornige Dickicht eingeschlagen wurde. Das Geräusch kam vom südöstlichen Hang des Hügels. Ihre Verfolger hatten sie von Lazen abgeschnitten und würden sie jetzt wie Treiber vom Hügel hinunter in den Hinterhalt treiben.
Sie lief weiter.
Weiter nach Westen, denn wenn sie erst einmal über die nördliche Auffahrt von Lazen hinaus war, gelangte sie in ein größeres Waldstück. Ihre Schuhe waren eng und vollkommen ungeeignet, erschwerten ihr das Laufen auf dem holprigen Boden, doch sie zwang sich vorwärts, duckte sich unter Ästen, lief durch Brennnesseln, schreckte Tauben von ihren Schlafplätzen auf und kraxelte verzweifelt den dornenbewachsenen Hang zur Straße hinunter. Die Dornen griffen nach ihren weiten Ärmeln und rissen ihre Röcke entzwei.
Am Rand des Dickichts blieb sie stehen. Hier wuchs in großen Mengen wilder Knoblauch, dessen beißender Geruch ihr in die Nase stach. In der Luft schwirrten Insekten. Sie hockte sich hin. Ihr Gesicht klebte vor Schweiß, ihr Haar löste sich. Sie schaute die Straße hinauf und hinunter, konnte jedoch niemanden entdecken. Die Verfolger trieben sie vom Schloss weg, doch sie hatten sie noch nicht umzingelt. Sie wusste, dass es nicht lange dauern würde, bis der erste zu ihrer Linken auftauchte und die Straße heraufkam, um ihr den Rückzug von Sconce Hill abzuschneiden.
Ein letzter spitzer Dorn hielt ihr Kleid fest,
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