Die dunklen Engel (German Edition)
und sie zerrte daran und hörte das Reißen der Seide, dann konnte sie wieder laufen, quer über die Furchen der Straße, durch das tückisch helle Sonnenlicht in den Schatten der Bäume dahinter.
Es war ein Buchenwald, die Bäume standen weit auseinander, und es gab kaum Unterholz. Sie lief zu den Hecken auf dem Kamm hinauf, denn sie wusste, dass sie in ihrem weißen Kleid für ihre Verfolger leicht zu erkennen war. Am Hang wurden die Buchen abgelöst von Eichen, Haselnuss und Ulmen, dort konnte sie sich erst einmal im hohen Farn verstecken.
Sie hockte sich hin.
Der Schweiß lief ihr zwischen den Brüsten hinunter. Ihre Seiten, ihre Hände, ihr Hals und ihre Wirbelsäule klebten.
Sie wischte sich die Hände an dem glatten Seidenstoff ihres Brautkleids ab. Ihr linker Oberschenkel war von der Hüfte bis zum Knie nackt, denn Kleid und Unterrock wiesen große Risse auf. Sie versuchte, den Stoff durch Zupfen an Ort und Stelle zu bringen, doch der Riss war zu groß.
Die Haare fielen ihr ins Gesicht und klebten ihr in Strähnen auf der Haut. Sie strich sie sich aus dem Gesicht und erstarrte.
Auf der nördlichen Straße waren Pferde zu hören, die Hufe waren auf dem Kies beim Torhaus weithin zu vernehmen.
Ein rotes Eichhörnchen flitzte lärmend eine Eiche hinauf. Sie duckte sich noch tiefer in den hohen Farn. Der ganze Wald schien erfüllt zu sein vom Gurren der Tauben. Sie lauschte auf die Stimmen ihrer Verfolger.
Culloden war mit Larke im Bunde und Larke mit Julius. Sie konnte sich nur vorstellen, dass Julius sich verschworen hatte, um dem Testament ihres Vaters nicht Folge leisten zu müssen. Culloden und Julius! Sie empfand eine wütende Trauer über das, was diesem Haus widerfahren war. Toby war tot, und jetzt war so etwas Abscheuliches über Lazen hereingebrochen.
Sie würde nicht weinen. Ihre Feinde waren gekommen, doch sie hatten sie nicht überwältigt. Sie würde noch nicht weinen, sondern kämpfen.
Rechts von ihr lag ein abgebrochener Ast von einer Eiche, dessen Rinde feucht war und dick mit Pilzen bewachsen. Sie zog ihn als behelfsmäßige Waffe zu sich heran, und die Rinde kratzte an einem weißen Pilz, von dem ein übler Gestank aufstieg. Sie zog die Nase kraus und beugte sich dann tiefer über den Pilz. Als sie die gelbgrüne Färbung sah, die weiße Manschette um den Stängel, wusste sie, dass es kein Speisepilz war. Es war ein grüner Knollenblätterpilz, und sie hatte ihn in diesem Jahr schon einmal gerochen; es war derselbe übelkeitserregende Gestank, bei dem der Hund in Mistress Sarahs Cottage gewinselt hatte. Das war es gewesen, was sie für ihren Vater geholt hatte.
Sie starrte darauf und vergaß für einen Augenblick ihre Verfolger. Ihr Vater hatte um seinen Tod gebeten. Die Schmerzen hatten ihn besiegt, doch er hatte geglaubt, in dem Wissen sterben zu können, dass sie heiraten und in Sicherheit sein würde. Mit dieser Gewissheit hatte er schließlich den Tod gesucht, das furchtbare, rasche Ende durch den grünen Knollenblätterpilz. In Campion wütete ein jämmerlicher Zorn, dass Lord Culloden das Vertrauen ihres Vaters – und ihr eigenes – so getäuscht hatte. Doch sie hatte Lord Culloden nicht ihren Körper gegeben, nur ihr Versprechen; und sie würde den Teufel tun.
Sie hockte im Farn, und ihre grobe Waffe beschmutzte den Saum ihres Brautkleides. Sie würde ins Pfarrhaus gehen, musste Cartmel Scrimgeour eine Nachricht schicken. Falls es ihr gelang, ihren Verfolgern zu entkommen, würde sie gewinnen. Davon war sie überzeugt.
Sie hörte Hundegebell.
Vorsichtig schob sie den Farn vor ihrem Gesicht auseinander. Zwischen den Buchen war nichts zu entdecken. Ein goldenes Funkeln an ihrer linken Hand irritierte sie. Ihr Ehering.
In plötzlichem Zorn zerrte sie sich den Ring vom Finger. Er war so leicht daraufgeglitten, doch jetzt wollte er nicht abgehen, so sehr sie auch zog und zerrte, bis ihr die Fingerknöchel wehtaten, doch endlich hielt sie ihn in der Hand und schleuderte ihn von sich. Einmal sah sie ihn noch im goldenen Sonnenlicht aufblitzen, bevor er in der dicken Laubschicht unter den Buchen verschwand. Sie krümmte die Finger der linken Hand zur Faust. Mit der rechten Hand griff sie wieder nach ihrem groben Knüppel.
Auf dem Weg unter ihr tauchte ein Reiter auf.
Sie erkannte den Mann nicht, konnte ihn nur zwischen dem dichten Laub ausmachen, einen Mann in dunkler Kleidung, der auf Sconce Hill starrte. Einmal schaute er nach links und richtete den Blick dann auf den
Weitere Kostenlose Bücher