Die dunklen Engel (German Edition)
Carline hörte die Nachricht, die sich wie ein Lauffeuer im Schloss verbreitete, und fand Campion im Gelben Salon.
Er verbeugte sich vor ihr, sein Gesicht zitterte vor Freude. «Mylady.»
«Die Flagge wird für meinen Bruder auf halbmast gehisst, Mr. Carline.»
«Selbstverständlich, Mylady.»
«Und wo ist mein Cousin?»
Er wies in Richtung der Räume, die ihr Vater bewohnt hatte. Sie drehte sich um. «Simon? Mr. Skavadale? Bitte begleiten Sie mich.»
Sie ging unter den Gemälden von Pferden hindurch zu den Räumen ihres Vaters und stieß die Türen auf.
Die junge Frau sah sie zuerst. Die Londoner Hure stand in der Tür zum Schlafzimmer und runzelte ob des Radaus im Schloss die Stirn.
Sie trug ein Kleid, das einst Campions Mutter gehört hatte, ein altmodisches, prächtiges Kleid aus mit Volants besetztem scharlachrotem Taft und Spitze; eines der vielen Kleider, die ihr Vater einfach nicht aus dem alten Ankleidezimmer hatte entfernen können. Es war das Kleid, das sie auf seinem Lieblingsporträt trug, und jetzt spannte es um die Hüften der angemalten Hure.
Um den Hals trug sie den Schmuck von Campions Mutter; die Rubine, die ihr Vater seiner Braut zur Hochzeit geschenkt hatte, und etliche der Diamanten, die er ihr jedes Jahr verehrt hatte.
«Ziehen Sie sofort das Kleid aus!» Campions Stimme war kalt und bitter. Die junge Frau wich zurück.
«Wer in Gottes Namen?» Julius, der sich rasch einen Morgenrock übergeworfen hatte, kam zur Tür. Skavadale trat an Campion vorbei, packte ihn an der Kehle und schob ihn rückwärts. Julius fiel auf das Bett und schnellte, die Faust zum Schlag erhoben, hoch, doch Skavadale war flinker. Er schlug ordentlich zu und knurrte ihn an, er solle das Maul halten.
Die junge Frau schaute Julius an und richtete den Blick dann wieder auf Campion.
«Ich habe gesagt, Sie sollen das Kleid ausziehen!»
«Aber …»
«Aus!»
Die junge Frau fummelte an den Haken, der Spitze. Campions Zorn war überwältigend. «Und den Schmuck!»
Die junge Frau öffnete die Halskette, streifte die Armbänder von den Handgelenken, die Ringe von den Fingern und nahm die Diamanten von den Ohren.
«Ziehen Sie das Kleid aus!»
Burroughs lachte, denn sie trug nichts darunter, nicht einmal einen Unterrock, und stand vollkommen nackt da.
Campion ging zu den Kleidern der jungen Frau und schob sie ihr mit dem Fuß zu. Dabei fiel aus der Rocktasche eine goldene Uhr.
«Warten Sie!»
Es herrschte Schweigen. Campion suchte alle Taschen ab. Langsam häuften sich auf dem Tisch am Fenster all die Schätze, die die junge Frau gestohlen und in ihren Kleidern versteckt hatte.
«Simon?»
«Mylady?»
«Öffnen Sie bitte ein Fenster.»
Er beeilte sich, ihr zu gehorchen. Campion raffte die Kleider zusammen, hob sie auf und warf sie auf den gekiesten Vorhof. Dann wandte sie sich der jungen Frau zu, die kalkweiß im Gesicht war. «Sie verlassen dieses Haus so, wie Sie sind. So weiß ich wenigstens, dass Sie nicht im Rausgehen noch etwas stehlen! Gehen Sie!»
Die junge Frau schüttelte verängstigt den Kopf.
«Raus!»
Sie lief. Campion achtete nicht auf das Gelächter draußen. Sie drehte sich zu ihrem Cousin um, der auf dem Bett lag, den zahnlosen Mund weit aufgerissen. «Simon?»
«Mylady?»
«Welche Räumlichkeiten stehen in Lazen leer?»
Burroughs runzelte die Stirn. «Das alte Stallhaus, Mylady. Aber es ist nicht sauber.»
«Bringen Sie den Earl of Lazen in das alte Stallhaus. Der Zutritt zum Schloss ist ihm untersagt. Er wird mir nicht mehr unter die Augen kommen.»
«Sehr wohl, Mylady.» Burroughs grinste.
«Abgesehen davon», wandte sie sich an den Kutscher, «wird er mit dem Respekt behandelt, der ihm seinem Rang und seinem Verhalten nach gebührt.»
Sie schaute aus dem Fenster und sah, wie die junge Frau, von höhnenden Dienstboten verfolgt, im Vorhof ihre Kleider aufsammelte und ungelenk an der Leiche vorbeilief. «Und, Simon?»
«Mylady?»
Sie zeigte auf Cullodens Leichnam. «Bitten Sie jemanden, den Dreck da zu beerdigen.»
Dann stolzierte sie aus dem Raum. Sie schritt durch das Schloss und riss die Fenster auf, als wollte sie es durchlüften. Unter ihren Zorn mischte sich Lachen, als sie sich daran erinnerte, wie viel Spaß es gemacht hatte, Valentine Larke mit der Peitsche zu schlagen. Ganz London würde davon hören!
Sie ordnete an, ihr ein Bad einzulassen, und gab einem erstaunten William Carline die Anweisung, für Mr. Skavadale ein Zimmer im Gartenhaus herzurichten. Dann
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