Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die dunklen Engel (German Edition)

Die dunklen Engel (German Edition)

Titel: Die dunklen Engel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susannah Kells
Vom Netzwerk:
dem Fleisch auf Fleisch schlug.
    Am einen Ende des Raums befand sich eine tiefe, dunkle Galerie, von der aus sich die Vorgänge auf dem mit Stein gepflasterten Boden darunter beobachten ließen. In dieser Nacht jedoch war die Galerie leer. Obwohl sie nicht leer sein sollte. Valentine Larke, einer der Männer in dem Raum, schaute immer wieder zu der Galerie hinüber, um zu sehen, ob Chemosch schon gekommen war. Er runzelte die Stirn. Wenn Chemosch diese Nacht nicht kam, dann hatte Chemosch vor den Gefallenen Engeln versagt, und das hieß, dass Chemosch sterben würde.
    Valentine Larke, Belial der Gefallenen Engel, war der Besitzer dieser Räumlichkeiten. London kannte sie als Harry Tipp’s Rooms. Hierher kam die Gentry, um sich mit Preisfechtern und Preisboxern zu messen, um gegen Harry Tipp selbst anzutreten, im langen Fechtsaal zu fechten und in den Dampfbädern, in denen Harry Tipp stets geschmeidige ausländische Diener beschäftigte, die die Bedürfnisse müder Gentlemen kannten, Geschichten auszutauschen.
    Doch der größte Reiz, größer noch als die Anziehungskraft der mit Vorhängen versehenen Alkoven des Dampfbads, waren die Straffälligen, die herkamen, um in den nach Einreibemittel stinkenden Hallen die Gentry zu treffen.
    Die Gentry und die Straffälligen waren nach Larkes Ansicht wie füreinander geschaffen. Beide hatten eine Abneigung gegen das Arbeiten, eine Leidenschaft fürs Spielen und nichts dagegen, die Chancen zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Die hungrigen, grausamen Männer, die aus dem Elendsquartier von Saint Gilles kamen, konnten bei Harry Tipp so etwas Ähnliches wie Arbeit finden; hauptsächlich Aufträge von Gentlemen, die einen Feind verstümmelt, getötet oder bloß in Todesangst versetzt wissen wollten. Zu Harry Tipp gingen junge Männer, um den Teil ihrer Männlichkeit unter Beweis zu stellen, der in Abigail Pails Etablissement nicht befriedigt werden konnte. Es war eine Männerwelt, von lauten Rufen und tapferer Prahlerei durchdrungen, und nach Abigails Profiten war es Valentine Larkes lukrativstes Geschäft.
    Doch an diesem Abend waren die mit Vorhängen versehenen Alkoven der Dampfbäder leer, das Wasser im Tauchbecken lag still da, der Sandsack ruhte, und es quietschten keine Schuhe auf dem Talkumpuder des Fechtbodens. Köche servierten in dem hallenden Speisesaal weder Pastete noch Aal, und der Weinkeller war verriegelt. Harry Tipp’s Rooms waren auf Anweisung von Mr.   Larke geschlossen. Geschlossen, wenn auch nicht leer.
    In dem hallenden Raum wies Valentine Larke den großen Mann mit einer Geste an, seine Arbeit einzustellen. Er ging an ihm vorbei und starrte auf den nackten Mann, der ausgestreckt auf dem Boden lag. Der Mann war voller blauer Flecken und blutete. Ein Auge war fast ganz zugequollen, seine Lippen waren geschwollen, doch immer noch schien der nackte Mann Hass und Hohn auf Valentine Larke zu spucken.
    «Der Kerl hat Nerven», sagte Abel Girdlestone grollend.
    Der mehr als ein Meter achtzig große Abel Girdlestone war einer von Harry Tipps Preisboxern. Sein zerdrücktes Gesicht zeugte davon, wie oft er Auge in Auge mit Gegnern gestanden und mit bloßen Fäusten mehr als hundert Runden gehämmert hatte. Einmal hatte Girdlestone mit dem Juden Mendoza einhundertacht Runden gekämpft, bevor der berühmte Boxer ihn bewusstlos zu Boden gestreckt hatte. Diese Niederlage gehörte zu Girdlestones stolzesten Erinnerungen. Seine durch Mut und den ledernen Sandsack gehärteten Fäuste waren wie Hämmer aus vernarbten Muskeln und Knochen. Er war bis zur Hüfte nackt, und auf seiner breiten Brust schimmerte der Schweiß.
    «Der Kerl hat Nerven», sagte er noch einmal. «Wenn Sie ihn mich nur richtig zusammenhauen ließen, Sir», fügte er eifrig hinzu.
    Larke schüttelte den Kopf. «Wir brauchen ihn noch.»
    «Wir haben die ganze Nacht», sprach eine Stimme wie aus der Hölle. Der Mann, dem diese Stimme gehörte, war noch größer als Girdlestone, er war von so riesiger Statur, dass jeder, der ihn zu Gesicht bekam, staunte. Harry Tipp war ein Schwarzer, dem Gerücht nach ein entflohener Sklave, und er wirkte wie aus alter, geschwärzter Eiche gemacht. Tipp hatte einhundertneunzehn Runden gegen Mendoza standgehalten, bis der Prinz von Wales in ehrfürchtiger Bewunderung den Kampf mit Unentschieden als beendet erklärt und den jubelnden Zuschauern befohlen hatte, die beiden blutigen Helden in einer offenen Kutsche zurück in die Stadt zu fahren.
    Auf gutem Fuß mit Harry Tipp

Weitere Kostenlose Bücher