Die dunklen Engel (German Edition)
und sie grübelte, warum sie nichts empfand, wenn Lewis Culloden sie berührte. Ob sein Kuss mehr Zauber bekäme, wenn er sich den Schnurrbart abrasierte?
Die Ehe, sagte sie sich zum hunderttausendsten Mal, ist ein Kompromiss. Da geht es um Geld, um Ländereien, um Erbangelegenheiten. Es ist ein Arrangement.
Liebe ist eine Erfindung für Küchenmädchen. Liebe ist kein plötzlicher Lichterglanz, der die Welt verändert, sondern etwas, das wächst. Sie ist eine Verantwortung.
Wieder schaute sie auf die schöne, lächelnde Frau, die in Lazens alter Kirche beigesetzt war und in dem großartigen Porträt doch weiterlebte. Die Familie sagte, dass sie für dieses Haus gekämpft hatte, dass sie durch das Tal der Finsternis, des Hasses und des Krieges gegangen war, damit Lazen weiterexistieren konnte. Lief es zwangsläufig darauf hinaus, dass sie Lewis Culloden heiratete? Waren all die Romantik, die ganze Pracht und die Magie nur ein Märchen, genauso gegenstandslos wie die nackte Nymphe, die in der Wasser-Seide schwamm? War die Liebe wirklich eine so heimtückische, langsame, berechnende Vorwärtsbewegung aufs Heiraten zu?
Doch sie war ungerecht, und sie wusste es. In den dunklen Winternächten stand ihr manchmal das anzügliche, widerliche Gesicht vor Augen, der Mund, aus dem Speichel auf ihre nackte Haut getropft war, und dann dachte sie daran, wie der Mann mit seinem Messer an ihrer Taille herumgefummelt hatte, und erinnerte sich auch an die wilde Freude, als sie den Hufschlag hörte, die weitausholende Bewegung des großen Säbels, die so triumphierend klang, an den angsterfüllten Schrei und an das Knirschen, mit dem die Klinge ihr Ziel traf. Warum nur, dachte sie, geht die Liebe nicht mit demselben Triumph einher? War Isolde enttäuscht, als Tristan sie küsste?
Es kam ihr fast ein wenig ungerecht vor, dass Lord Culloden sie gerettet hatte, und sie wusste, dass dies ein unwürdiger Gedanke war. Doch es gab Zeiten, da stellte sie sich vor, es wäre ein Mann mit schwarzem Haar und anmaßender Miene gewesen, der zu ihrer Rettung herbeigeritten war, und sie malte sich aus, wie die Hand des Zigeuners sie getröstet hätte. Sie versuchte, den Tagtraum zu vertreiben, doch in langen, einsamen Nächten war es ein seltsam tröstlicher Traum.
Es gab Zeiten, da fühlte sie bei der Erinnerung an die zwei Nächte, da sie in diese Galerie gekommen war, um den Zigeuner zu suchen, statt Scham nur Bedauern. Einmal berührt zu werden, dachte sie, nur einmal die Seligkeit spüren. Falls es diese Seligkeit gab.
Plötzlich hatte sie schreckliche, schreckliche Angst, als sei die leere Dunkelheit über dem Two Gallows Hill ihre Zukunft. Das Ding in seinen Ketten hing nicht mehr dort, doch es schien ihr, als tanzte der vertrocknete Körper, bloße Knochen, von Sehnen zusammengehalten, immer noch dort oben und verhöhnte sie. Sie würde heiraten, und da, wo Leben und freudige Erwartung herrschen sollten, war nur eine verdrießliche Furcht.
Doch dann kam sie vernünftig zu dem Schluss, dass ihre Gedanken nicht anders waren als die Gedanken jeder jungen Frau kurz vor der Ehe. Sie war nichts Besonderes, hatte kein Recht, mehr von der Liebe zu erwarten als andere. In vielen Dingen, sagte sie sich einmal mehr, war sie gesegneter gewesen als andere. In dieser einen Sache, der Ehe, würde sie ganz gewöhnlich sein.
Sie lächelte. Sie war auch eine Rechenmeisterin.
Behutsam legte sie die Siegel in ihre Kiste.
Dann schloss sie eines nach dem anderen die Fenster, um den Dienstboten diese Aufgabe zu ersparen, und sperrte mit dem Kerzenschein, der sich in den Scheiben spiegelte, die Dunkelheit aus.
Es gab keine Gewissheit. Es konnte keine Gewissheit geben. Das Einzige, was sie tun konnte, war, ihr Leben zu leben. Bald würde sie verheiratet sein, sie hatte es versprochen, und mit diesem Versprechen hatte sie die fruchtlosen Träume von Liebe aufgegeben und die Gegebenheiten des Lebens akzeptiert.
Sie schloss den Deckel über den goldenen Siegeln.
Sie war eine Rechenmeisterin.
Also sollte es so sein. Sie nahm die Kiste und ging zu Bett.
10
Die Wände des Raums waren aus unbehauenem Stein. Wasser tropfte herab und sammelte sich auf dem Steinfußboden zu Pfützen. Trotz des Frühlingswetters war es kalt in diesem großen, fensterlosen, hallenden Raum aus Stein, der von Fackeln erleuchtet wurde.
Es war Nacht.
Die Echos schwollen an, wurden leiser und dann wieder lauter. Grunzen, Tapsen nackter Füße auf Steinfußboden, das Klatschen, mit
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