Die dunklen Farben der Begierde (German Edition)
Geht dir das nicht genauso?»
«Das meinte ich nicht», murmelte Kitty und war sich nicht sicher, was sie überhaupt gemeint hatte.
Clarissas Freunde hatten sich niemals wirklich darüber einigen können, ob sie wohl als freiwilliger Gast in Asham House lebte oder als Gefangene. Olivia hatte sogar gesagt, es sei einfach, jemanden zu befreien, dessen Körper irgendwo gefangen sei – schwierig würde es jedoch, wenn es ihr Geist sei, den man gefangen halte. All das erschien Kitty ziemlich seltsam. Aber spätestens seit Mr. Ardenzi nun auch noch verschwunden war, wurde ihr klar, das irgendetwas gründlich schiefgelaufen sein musste.
Allmählich verließ sie bei den unausgegorenen Plänen die Geduld, und die anderen schienen einfach nicht genug zu unternehmen, um mehr in Erfahrung zu bringen, was geschehen war. Sie wünschte, Charles und Alicia Longleigh würden bald zurück sein, aber das würde mindestens noch einen Monat dauern, vielleicht länger. Sie wüssten bestimmt, was zu tun wäre, um das alles wieder in Ordnung zu bringen.
Sie hoffte, sie wären nicht sauer, dass sie ihren alten Job verlassen hatte.
Die beiden Frauen erreichten den schmalen Seiteneingang von Madame Jane’s. Unten auf den großen Glasscheiben stand in großen grünen und goldenen Buchstaben geschrieben «Wein, Bier und Spirituosen», wie Laura ihr erzählt hatte. Offiziell war es The Balmoral, und nach außen sah es aus wie jedes andere, gewöhnliche Café. Man konnte dort etwas trinken und essen, wenn man wollte. Aber wenn man das richtige Gesicht hatte und außerdem genug Geld, dann konnte man hinaufgehen in das richtige Madame Jane’s mit seinem glitzernden Tanzsaal, seinen anzüglichen Shows, seiner intimen Galerie und den Séparées.
Laura schloss die Tür auf und tastete sich den dunklen Flur hinab. Während sie die Treppen hinaufstiegen, überlegte sie, ob sie sich ihrer neuen Freundin anvertrauen sollte. Laura kannte die Kunden und die anderen Mädchen einfach besser. Vielleicht konnte sie etwas herausfinden.
«Also», begann sie zögernd, «ist es wahr, dass dieser Marldon … Nun, ich habe gehört, dass er manchmal auch Mädchen von hier mit zu sich nach Hause genommen hat, um als Dienstboten für ihn zu arbeiten. Ist das wahr?»
«Doch, schon», antwortete Laura. «Aber du musst dir keine Sorgen machen. Das macht er nur mit den richtig verdorbenen und nur wenn sie das auch wollen. Wir hatten hier einen richtig heißen Feger, die hieß Charlotte und ist mit ihm mitgegangen, na, vielleicht so vor einem Jahr. Und davor war es eine – Eleanor, ich glaube, so hieß sie, Eleanor Gracely. Das war ein schlimmer Finger, sag ich dir. Die hat’s mit ihrem Bruder getrieben, erzählte man sich. Oder war das Charlotte? Jesus, so was kann ich mir einfach nicht merken.»
Laura plapperte immer so weiter. Kitty hörte kaum noch hin. Sie war erleichtert, dass es ziemlich unwahrscheinlich schien, dass sie hier wieder rausgezogen und zum Dienstmädchen gemacht wurde. Aber gleichzeitig machte sie sich auch riesengroße Sorgen. Arme Miss Clarissa. Wie könnten sie ihr nun Hilfe zukommen lassen? Kitty und Laura betraten nun die Wohnquartiere im ersten Stock des Gebäudes. In dem Salon mit der niedrigen Decke saßen einige Mädchen herum, lasen, flickten Wäsche, plauderten. Madame Jane, die auf ihrem großen ledernen Lehnstuhl thronte, sah von ihrem Buch auf, als die beiden eintraten. Sie hob ihren Zwicker, hielt ihn sich vor die Augen und sah Kitty aufmerksam an.
«Komm doch einmal her, ja?», sagte sie mit einer Stimme, die eher freundlich als befehlend klang.
Kitty setzte ihr sperriges Paket ab und ging durch den Raum, um schließlich vor ihr stehen zu bleiben.
«Du hast doch mal als Hausangestellte gearbeitet, oder, Katherine?», sagte Jane.
Kitty nickte. Jane bestand darauf, um eine gewisse Würde und Distanz zu wahren, dass jedes Mädchen im Bordell mit seinem vollständigen Namen angesprochen wurde. Für Kittys Ohren hörte sich das immer noch merkwürdig an.
«Als Hausmädchen», antwortete sie. Und ergänzte dann «ranghöchstes Hausmädchen», obwohl es eigentlich gar nicht stimmte.
«Dann hättest du also keine Probleme damit, Tabletts mit Getränken herumzutragen und hinzugehen, wenn jemand mit den Fingern schnipst?», sagte Jane.
Kitty sah sie ein wenig verzagt an, da sie befürchtete, man wolle sie vielleicht feuern. Oder, schlimmer noch, dass Lord Marldon sie vielleicht anstellen wollte. Hatte er vielleicht von irgendwem
Weitere Kostenlose Bücher