Die dunklen Farben der Begierde (German Edition)
Unordentliches, mehr als üblich. Seine Kleidung sah nicht mehr so frisch aus wie früher am Abend, und seine kastanienbraunen Locken wirkten ein wenig zerzaust. Clarissa spürte ein heißes Brennen der Eifersucht und hoffte, dass sie seine Rückkehr zu der Blonden auf jeden Fall ein wenig herauszögern könnte.
«Ich finde es besser, Frauen nicht zu umwerben, wenn sie dabei sind, sich zu verheiraten», entgegnete er steif. «Ein Techtelmechtel erweist sich dann immer als ziemlich ermüdend. Und mit dir wäre es gewiss noch viel ermüdender als üblich.»
«Bitte, Gabriel», setzte sie an, unsicher, was sie sagen sollte. Gewiss verdiente sie diese Schmach nicht, bloß weil sie ihm verheimlicht hatte, dass sie versprochen war. Aber was, andererseits, konnte sie von ihm verlangen? Er hatte ja schließlich recht. In weniger als drei Monaten würde sie verheiratet sein.
«Können wir nicht wenigstens höflich miteinander umgehen?», fragte sie schwach.
«Höflich?», ätzte er. «Du möchtest Höflichkeiten? Ach, was für ein nettes Fest heute Abend, nicht wahr, Miss Longleigh? Genießt Ihr Euren Aufenthalt in London? Ich hoffe doch sehr. Wann soll denn das Aufgebot verlesen werden? Ich wäre doch allzu gern zugegen. Habt Ihr für heute Abend schon einen passenden Verehrer gefunden? Ihr solltet wirklich mit Euren Kussübungen fortfahren, wenn Ihr die Befriedigung Eures …»
«Hör auf! Hör auf!», rief sie, und ihre Gefühle waren deutlich in ihren Augen zu lesen.
«Und vielleicht gibt es da noch mehr, was Ihr üben solltet», setzte er trotz ihrer Proteste in zunehmend ätzendem Ton fort. «Habt Ihr schon jemanden gefunden, der Euch unter Eure Röcke greift, Miss Longleigh? Ihr müsst noch so viel lockerer werden, bevor Ihr Euch auf ewig bindet. Noch scheint Ihr nicht das rechte Format dafür zu haben, das Bett mit diesem … herzlosen alten Wüstling zu teilen.»
«Nein», flüsterte sie und schüttelte den Kopf. «Nein, Lord Marldon ist ein ehrenwerter Mann. Mein Vater hat ihn für mich erwählt.» Eine Träne rannte ihre Wange hinab, und sie schluckte ein unterdrücktes Schluchzen herunter.
Die Zornesfalten verschwanden von Gabriels Stirn, und der höhnische Zug um seine Mundwinkel glättete sich. Er sah sie sanft an, und sie meinte, eine Spur von Feuchtigkeit in seinen karamellfarbenen Augen ausgemacht zu haben.
«Du bist zu vertrauensselig, Kleines», sagte er mit leiser, einfühlsamer Stimme. «Viel zu vertrauensselig.» Er wischte ihr mit einer zärtlichen Geste die Träne ab und beobachtete sie mit einer Mischung aus Mitgefühl und Verlangen. Sein Blick glitt begehrlich über ihr Gesicht, und er beugte sich zu ihr herab, seine Lippen zu einem Kuss geöffnet.
Clarissa hob ihren Mund an; ihr Herz raste. Das war es, was sie wollte. Und es war ihr egal, wer sie beobachtete.
Aber Gabriel trat einen Schritt zurück. Er lächelte, ein gemeines, verkniffenes Lächeln. Seine Augen brannten.
«Werd erwachsen, Clarissa», stieß er mit beißender Gehässigkeit hervor. «Du wirst es müssen.»
Kapitel fünf
Es war etwa eine Stunde nach dem Mittag im Hyde Park. Es war Hochsommer, das Wetter herrlich, und es schien, als ob ganz London auf den Beinen sei, um zu sehen und gesehen zu werden.
An den in der Ferne liegenden Ufern des Serpentine-Flusses lagerten die Bewohner von Bayswater unter Bäumen oder fuhren in kleinen Booten hinaus auf das Wasser. Londons bessere Gesellschaft allerdings mied jene Gegend. Sie hielt sich mit ihren glänzend gestriegelten Pferden und lackierten Kutschen lieber auf den vornehm gekiesten Wegen des Parks auf. Über die Rasenflächen und die Fußpfade flanierten Damen in pastellfarbenen Seidenkleidern, die ihre Sonnenschirmchen durch die Luft wirbeln ließen und den Scharen von Zylinderhüten, die sie grüßten, ein heiteres Lächeln schenkten.
Clarissa galoppierte locker, in einem schwarzen, eng wie ein Handschuh geschnittenen Kleid, an den Eichenrindehalden der Gerber in der Rotten Row vorbei. Ihr Gesicht sah gerötet und frisch aus, aber ihr Herz war schwer wie Blei.
Lucy hatte ihr geraten, Gabriels Spötteleien einfach zu ignorieren. Lord Marldon war nicht so, wie er gesagt hatte. Natürlich war er nicht so. Herrje, Gabriel war ein sechsundzwanzig Jahre alter Junggeselle und wahrscheinlich eifersüchtig. Und er war Künstler, ein typischer Künstler – unbeständig, launisch, auf sich selbst bezogen und unglaublich leidenschaftlich. Kurzum, er war absolut hoffnungslos. Sie
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