Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)
vor den anderen setzte, zurück in die Galerie. Peter hatte sich überhaupt nicht bewegt. Reglos fixierte er das Gemälde.
„Hier steht, dass sie von einem Wagen erfasst wurde, und dass sie den Fahrer nicht ermitteln konnten.“
„Was?“ Er blickte auf, als sei er aus einem tiefen Schlaf erwacht.
„Martha Haussen wurde von einem Wagen überfahren. Und das dort“, Helene wies auf das Blumenmädchen , „ist ihr Gesicht.“
„Was meinst du?“
„Henryk kannte diese Frau.“ Die Tränen quollen unter ihren Wimpern hervor. Sie wischte sich über die Augen. „Er hat sie gemalt. Und mich hat er auch gemalt. Auf dem kleinen Porträt.“ Mit einem Schluchzen klärte sie ihre Kehle. „Und dann hatte ich diesen Unfall. Jemand hat versucht, mich zu überfahren, verstehst du?“
„Was heißt das, jemand wollte dich überfahren? Davon hast du nichts gesagt, du hast nur ...“
„Ich dachte, es war ein Unfall“, unterbrach sie ihn. „Aber jetzt denke ich, dass es vielleicht anders war. Henryk hat mich danach gefragt, aber ich wollte nicht darüber nachdenken.“ Ihr Ton kippte um. Sie wusste nicht mehr, ob sie schrie oder keuchte. „Peter, es war ein großer dunkler Wagen. Es könnte ein Volvo gewesen sein. Er fuhr irrsinnig schnell. In einer Fußgängerzone!“
Er schüttelte den Kopf, wie um sich selbst vom Gegenteil zu überzeugen. „Warum sollte jemand das tun?“
„Warum wurde Martha Haussen getötet?“
„Es war ein Unfall.“
„So wie bei mir?“ Sie hustete und rieb sich wieder über die Augen. Als sie die Hände herunter nahm, klebten schwarze Schlieren daran. „Kein Mensch weiß, ob es ein Unfall war. Da steht, sie haben den Fahrer nicht ermittelt. Was, wenn es darum ging, die Ähnlichkeit zu verbergen?“
„Aber wer?“ Seine Überlegenheit war verflogen. Erschöpfung legte sich über sein Gesicht wie eine graue Decke. „Wer hätte das tun sollen?“
„Jemand, der in die Fälschungen eingeweiht war.“ Plötzlich ergab alles einen Sinn. „Jemand, der in Henryks Atelier ein- und ausging. Vielleicht war das kleine Porträt ebenfalls für den Verkauf vorgesehen und er bekam Angst, dass jemand die Ähnlichkeit bemerken könnte. Vielleicht hat Henryk es auch nur zu seiner eigenen Freude gemalt und sein Partner fürchtete, jemand könnte es sehen.“ Sie massierte sich die Schläfen. Ihre Augen brannten noch immer, aber wenigstens waren die Tränen versiegt.
„Und wer sollte dieser Partner sein?“
„Paul Verhoeven“, sagte sie. Es war so offensichtlich. „Dein Galeristenfreund. Er fährt einen dunklen Volvo.“ Das Bild tauchte mit plötzlicher Klarheit aus ihrer Erinnerung auf. Scheinwerfer, die aufflammten und sie blendeten, ein Kühlergrill, der ihr Gesichtsfeld ausfüllte. Sie zuckte innerlich zusammen. „Ich glaube, es war sein Wagen, der mich angefahren hat.“
Sie hatte den Fahrer nicht erkannt. Aber es gab keine andere Möglichkeit.
Peters Kopf ruckte hoch. Er wollte etwas sagen, doch dann bewegte er nur die Lippen, ohne dass ein Wort daraus hervor kam. Er starrte an ihr vorbei ins Leere. Schweigen hing zwischen ihnen wie gefrorener Atem. Als er schließlich redete, klang seine Stimme flach, als spräche er mit sich selbst. „Paul hätte sich nicht einfach so eine Vermeer-Fälschung aufschwatzen lassen. Er hat mir diese Geschichte erzählt, wie sie den Vermeer entdeckt hätten. Wenn das hier von Henryk stammt, dann muss er sie erfunden haben.“ Er presste seine Finger zusammen, bis die Kuppen weiß leuchteten. „Du hast Recht. Paul steckt mit drin. Es kann nicht anders sein.“
Mit einer Hand berührte er sie an der Schulter. Sie ließ zu, dass er sie an sich zog. Er legte beide Arme um ihren Körper und hüllte sie ein. Ihre Kehle verkrampfte sich wieder. Dann weinte sie, ein lang gezogenes Schluchzen, eine Eruption, die nicht aufhören wollte. Und Peter hielt sie und schwieg.
In diesem Moment wusste sie, dass er sie schützen würde. Er würde nicht zulassen, dass ihr etwas zustieß.
Sie hörte auf, um sich selbst zu weinen. Sie weinte nur mehr um Henryk und alles, was mit ihm verloren war.
Ihr Telefon klingelte. Helene stellte ihre Tasche auf den großen Holztisch und presste das Handy ans Ohr.
„Peter?“, fragte sie.
„Wie geht es dir?“ Seine Stimme klang gedämpft und sehr müde.
„Ich bin in seinem Atelier.“
Er schwieg darauf.
„Ich habe es gerade in der Zeitung gelesen“, sagte sie. „Verhoeven ist tot.“
„Ich weiß.“
„Du
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