Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)
er an einem Detail im Hintergrund. Eine gekalkte Wand, ein offenes Fenster. Der Vorhang, tiefblau mit schweren Falten. Er hatte die Farben mit Umbra getönt, um die Nachdunklung zu imitieren, die sich bei Ölgemälden im Laufe der Jahrhunderte einstellte.
Und er fragte sich, wie Martha den Weihnachtsabend verbrachte. Wahrscheinlich mit ihrem Mann.
Ein klirrender Sprung brach das Licht.
Henryk versuchte den Gedanken aus seinem Kopf zu vertreiben. Er hatte ihr gesagt, er würde sich melden, wenn er sich besser fühlte. Am Morgen hatte er überlegt, sie anzurufen, und es dann nicht getan. Er wollte nicht, dass sie ihn so sah.
Dies war der erste Grund.
Der zweite war komplizierter.
Er fürchtete sich vor dem, was sie erwidern würde, wenn er sie fragte, ob sie Weihnachten mit ihm verbringen wollte. Lieber wich er einer Entscheidung aus. Er würde keine Fragen stellen, deren Antwort vorhersagbar war. Und Martha musste keine Lügen erfinden.
Also würde er Weihnachten malend vor der Staffelei stehen. Allein. Und konnte sich einreden, dass Martha vielleicht ja gesagt hätte.
Ein guter Kompromiss, wie er fand.
Die Klingel riss Henryk aus dem Schlaf.
Wie spät war es? Schwindel überfiel ihn, als er sich aufrichtete. Er brauchte mehrere Herzschläge, um die Benommenheit abzuschütteln.
Im Dunkeln tappte er zur Tür und zog sie einen kleinen Spalt auf, so dass das Licht aus dem Flur einen Streifen auf seinen Boden malte.
„Ich hatte gehofft, du bist noch wach“, sagte Martha.
Sie trat ein, ließ die Tür zufallen und küsste ihn im Dunkeln. Ihre Wangen fühlten sich kalt an.
„Frierst du?“, fragte er.
Sie zog ihren Mantel aus. „Fröhliche Weihnachten.“ Etwas raschelte, Steinchen knirschten unter ihren Absätzen. „Wie geht es dir?“
„Aber ich habe gar nicht angerufen.“
Sie löste sich von ihm und machte sich am Tisch zu schaffen. Eine Kerze glomm auf. Henryk beobachtete die tanzende Flamme. Martha drapierte ein kleines Päckchen auf dem Tisch.
Dann wich sie zurück ins Dunkel, zurück zu ihm, ganz nah.
„Du siehst schlecht aus“, flüsterte sie.
Henryk lächelte. Er hob eine Hand und berührte ihr Gesicht. „Es geht mir schon besser. Jetzt, wo du da bist.“
Sein Arm glitt um ihre Hüfte.
„Warte.“ Sie stellte ihre Tasche auf den Boden. „Ich habe Wein dabei.“
Sein Lächeln wurde weicher. „Dann ist es ein Glück“, sagte er, „dass ich Gläser gekauft habe. Sie passen sogar zusammen.“
Als sie anstießen, hallten die Gläser im Echo der Glocken, ein Weihnachtschor über den Dächern der Stadt. Auf den Firsten glitzerte der Schnee. Der Himmel stand klar und voller Sterne, die Luft war schneidend kalt.
„Es ist lange her“, sagte Martha, „dass wir in Brüssel weiße Weihnachten hatten.“
„Schnee und sternenklaren Himmel?“
Sie nippte an ihrem Wein. Ihr Atem streifte seine Wange.
„Ich bin so glücklich“, murmelte er, „dass du hier bist.“
Einen Herzschlag standen sie still. Martha schauderte, als ein Windhauch die Vorhänge bewegte.
„Kalt?“
Sie nickte.
Er schloss das Fenster.
„Ich habe ein Geschenk für dich“, sagte Martha.
„Ich nicht“, erwiderte er schuldbewusst.
Sie lachte leise. „Du darfst es trotzdem auspacken.“
Die Schachtel war klein und eingehüllt in schwarzes Lackpapier. Henryk zog die Schleife auf. Es knisterte leise, als er das Papier zur Seite bog. Seine Fingerspitzen fanden Samt und eine metallene Schließe. Ein Monogramm war in den eleganten kleinen Deckel geprägt.
Wärme stieg in ihm auf. Es war ein unerwartetes Gefühl, so tief vergraben, dass er es beinahe vergessen hatte. Ein Bild seiner Mutter blitzte auf, die schöne Wohnung in Bukarest. Wie sie auf dem Teppich saßen, der Duft von Kakao und brennenden Kerzen. Echte Wachskerzen waren das, nicht die billigen aus Plastik.
Mit dem Daumen klappte er die Schachtel auf. Auf der Uhr fing sich ein Lichtreflex, ein kleines Funkeln. Henryk starrte sie an. Da lag sie in ihrem Samtbett, eine schmale Kostbarkeit aus Saphirglas und Keramik. Rado stand auf dem Ziffernblatt.
Er wusste gar nicht mehr, wann er Martha davon erzählt hatte. Dass er sich eine kaufen würde, eines Tages. Das war eine lang gehegte Liebe, eine heimliche Schwärmerei. Als Jugendlicher hatte er viele Stunden vor dem Schaufenster des Juweliers verbracht. Es standen keine Preise an den Chronometern, die von der Schönheit ablenken konnten.
„Freust du dich?“
Henryk sah sie
Weitere Kostenlose Bücher