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Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Titel: Die dunklen Farben des Lichts (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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an. Er fand einen Anflug von Unsicherheit in ihren Augen. Als er lächelte, glättete Erleichterung ihre Züge. Er unterdrückte seinen ersten Impuls, ihr die Uhr zurückzugeben. Er wollte sie nicht verletzen.
    Martha hatte sich nichts dabei gedacht. Sie würde es nicht verstehen. Für sie war es einfach nur ein Geschenk. Eines sogar, das sie mit Bedacht ausgewählt hatte.
    „Probier sie an.“
    Er löste die Silberspange und streifte die Uhr über sein Handgelenk.
    Martha fasste nach seinem Arm. Sie fragte nicht wegen der Narben, die er sonst unter dem Armband verbarg, und Henryk war ihr dankbar. Er wusste, dass sie sie bemerkt hatte. Zu Anfang schon, nach ihrer ersten Nacht. Sie hatte sie gesehen und nichts gesagt.
    „Schön.“
    Er nickte. Plötzlich fühlte er sich ungelenk. Er wollte ihr danken, er suchte nach Worten. „Sie ist phantastisch“, sagte er endlich. „Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Außer, dass ich kein Geschenk habe, meine ich.“
    „Schenk mir eine Blume.“ Sie trat vor das Gemälde. „Erinnerst du dich, ganz zu Anfang? Wir wollten Kornblumen zwischen die Tulpen stellen.“
    Er nickte. „Dann schenke ich dir Kornblumen.“
    „Eine reicht mir. Aber sie muss etwas Besonderes sein.“
    „Ich male auf jedes Blütenblatt“, er küsste ihren Nacken, „deinen Namen.“
    „Aber so, dass nur ich es weiß.“
    Henryk legte seine Arme um ihren Leib. Kühl fühlte die Uhr sich an, und schwer, wie sie sein Handgelenk umspannte.
     
     

13
     
     
     
    Einen Monat später hatte Henryk das Gemälde beinahe fertiggestellt. Er hatte die letzten Lasurschichten vollendet, und begann, am Firnis zu arbeiten.
    Hitze staute sich im Atelier und schmolz das Eis auf den Scheiben. Die Blätter der Tulpen zitterten in der Luft. Er hatte eine Glasvase gekauft, ein elegantes bauchiges Gefäß, in dem halbhoch das Wasser schimmerte.
    Im hinteren Teil des Ateliers summte Tag und Nacht ein Heizlüfter. Das war wichtig, damit die Firnisschichten rasch durchtrockneten.
    Die letzte Phase hatte begonnen.
    Er zwang sich zur Konzentration. Mit dem Unterarm wischte er sich den Schweißfilm aus dem Gesicht. Ein letztes Mal tastete er über die Bildoberfläche, um sicherzugehen, dass die Leimschicht getrocknet war. 
    Dann tauchte er den Pinsel in die bräunliche Flüssigkeit und begann, den Firnis aufzutragen. Er hatte das zuvor getestet, an Stücken grob bemalter Leinwand. Der ganze Boden war bedeckt von Fetzen, die gerissen und nachgedunkelt waren.
    Auf die Dicke der Schichten kam es an, aber auch auf die Zusammensetzung des Suds. Nach vielen Experimenten hatte er sich schließlich für Spiköl entschieden, verkocht mit Leinöl und Mennige.
    Er warf einen Blick in den Plastikeimer, in dem der Leim stockte, den er am Vortag angerührt hatte. An der Wand unter dem Fenster lehnte ein Keilrahmen mit einer Probeleinwand. Henryk hatte auch die Rückseite dick geleimt. Eine sichere Methode, um Spannungen im Bild zu erzeugen, die schließlich die Risse in der Farbschicht produzierten, die Craquelure. Eine sehr schöne, authentische Craquelure, wie Verhoeven bei der Spitzenklöpplerin anerkennend bemerkt hatte.
    Henryk setzte den Pinsel ab und trat einen Schritt zurück, um das ganze Bild zu betrachten. Nahtlos versiegelte der Firnis die Farben. Der Mennige-Anteil, etwas höher, als in den alten Rezepten beschrieben, legte einen gelblich-dunklen Schleier über die hellen Farbtöne. 
    Zwischen Mohn und Tulpen hatte Henryk drei Kornblumen gesetzt, die Blüten in leuchtendem Blau.
    Er versuchte sich in den Augenblick zurückzuversetzen, in dem er zum ersten Mal gespürt hatte, wie die Seele in den Umrissen erwachte. Ihm kam der Abend in den Sinn, als er Marthas Gesicht auf die Leinwand gebannt hatte.
    Die Vorstellung, sich nun von dem Gemälde trennen zu müssen, versetzte ihm einen Stich. Er fragte sich, wie es weitergehen würde zwischen ihm und Martha, wenn das Bild vollendet war.
    Es wirkte einen subtilen Zauber, auf seiner Staffelei dort neben dem Tisch. Henryk war darin gefangen und Martha ebenfalls. Seit Weihnachten sahen sie sich häufig. Sie gingen gemeinsam essen oder verbrachten den Abend im Bett.
    Martha gab wenig von sich preis. Einmal hatte sie erzählt, dass sie am Meer aufgewachsen war. Davon abgesehen blieb sie einsilbig, wenn er sie nach persönlichen Dingen fragte.
    Wenn sie nicht da war, hing Stille im Atelier. Erschreckend, wie schnell das gegangen war, sie so tief in sein Leben zu weben. Überall

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