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Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Titel: Die dunklen Farben des Lichts (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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die Sterblichkeit überwunden. Hier wird sie ewig.“
    Baeskens schwieg eine Zeitlang.
    „Sie haben recht“, sagte er schließlich. „Ich hätte das nicht so ausgedrückt, aber Sie bringen es auf den Punkt.“
    Henryk atmete langsam aus.
    „Sie sind gut.“ Baeskens machte eine Handbewegung. „Sollen wir weitergehen?“
    „Zu den Blumengärten der Impressionisten?“
    Der Sammler lächelte.
     
     
     
    „Seit wann arbeiten Sie für Verhoeven?“
    „Schon länger“, wich Henryk aus. „Aber der Vermeer war der erste wirklich große Auftrag.“
    Baeskens lehnte sich zurück und zündete sich eine Zigarette an. Er bot Henryk das Päckchen an. Sie saßen auf der Terrasse, auf schmiedeeisernen Stühlen. Helene war nirgends zu sehen. „Lauwaert sagt, Sie hätten als Maler Talent.“
    „Kennen Sie ihn?“
    „Seit unserer Studienzeit. Aber wie sind Sie auf Restaurierung gekommen?“
    „Es ist besser als Kinokarten verkaufen, oder?“
    „Was?“ Baeskens kniff die Augen zusammen.
    „Von der Malerei kann ich nicht leben.“
    Eine unangenehme Pause trat ein.
    „Das ist keine Schande“, klang Helenes Stimme von der Tür her.
    Er drehte sich zu ihr um.
    „Viele große Meister nagten am Hungertuch, und heute sind ihre Werke Millionen wert.“
    „Verstehen Sie mich nicht falsch.“ Baeskens drückte seine Zigarette aus. „Ich wollte nicht sagen, dass Restaurierung minderwertig gegenüber der reinen Kunst ist. Mich hat nur Ihre Motivation interessiert.“
    Helene setzte sich zu ihnen an den Tisch.
    „Warum haben Sie den Vermeer erworben?“, fragte Henryk. „Wegen der Blumen?“
    „Wir kennen uns gut, Paul und ich. Er hat mir das Bild gezeigt und was konnte ich anderes tun, als zuzugreifen? Wissen Sie, wann es zuletzt einen Vermeer auf dem freien Markt zu kaufen gab?“
    „Sotheby’s, 2004. Die Junge Frau am Virginal . Ging für einen unglaublichen Preis an einen Privatsammler.“
    „Die Frau auf unserem Vermeer“, mischte Helene sich ein. „Weiß man, wer sie ist?“
    Baeskens’ Lächeln wurde breiter, die Fältchen um seine Augen vertieften sich. „Die Ähnlichkeit mit ihr“, er nickte Helene zu, „ist verblüffend, oder? Wir dachten uns, das ist ein Zeichen. Da haben wir es gekauft. Zum Glück für einen Bruchteil des Preises, den Sotheby’s erzielt hat.“
    „Es tut mir leid“, sagte Henryk schmal, „aber über die Frau kann ich Ihnen nichts sagen.“
    Dann, um das Schweigen zu überbrücken: „Haben Sie die Kornblume bemerkt?“
    „Auf dem Gemälde?“ Baeskens zündete sich eine neue Zigarette an. In seinen Blick trat Respekt. „Sie ist faszinierend, oder? Zuerst fällt sie einem gar nicht auf. Fast könnte man meinen, er hätte sie absichtlich verborgen. Aber wenn man sie einmal entdeckt hat, zieht sie immer wieder die Aufmerksamkeit auf sich.“
    „Die Blickachse des Mädchens verläuft genau durch die Blume. Sie schaut verstohlen die Kornblume an.“
    „Tatsächlich?“
    „Man kann das ausmessen.“
    „Haben Sie es getan?“
    Henryk nickte.
    Baeskens’ Lippen verzogen sich zu einem dünnen Lächeln.
     
     

21
     
     
     
    Ein Strich deutete ihre Kinnlinie an, ein Schatten unterhalb des Ohrs schuf Tiefe. Das Haar, hell und fein, löste sich auf in einer Schraffur, die kaum merklich den Farbton des Untergrunds höhte.
    Henryk verstärkte die Konturen von Nase und Stirn. Er legte ein Stück Rötel flach auf das Papier und schraffierte die Wange mit zwei kräftigen Strichen.
    Er wischte sich die Kreide von den Fingern und hielt den Block mit ausgestrecktem Arm vor sich. Lächelnd fing er den Blick des Mädchens. Ihr Kopf war zurückgedreht, das Kinn zur Hälfte von der Schulter verdeckt, ein Moment der Überraschung. Halb schloss er die Lider und fixierte sie weiter, während er sich die Farben vorstellte, und die Art, wie Licht von hinten ihr Gesicht umfing. Vielleicht strahlte es aus einer halb geöffneten Tür, oder von einem Kerzenleuchter in ihrem Rücken.
    Er legte den Block zurück auf seine Knie. Mit ein paar Strichen deutete er die Hand an, leicht erhoben, die Finger schoben eine Haarsträhne hinter das Ohr. Mit blauer Kreide skizzierte er die Blüte. Wie beiläufig strich er mit der Handkante über einen Teil der Zeichnung und verwischte die Konturen.
    Bei Sonnenuntergang legte er den Block beiseite.
    Der Boden des Ateliers war bedeckt mit losen Blättern voller Skizzen, die er nicht ausgearbeitet hatte. Sein Blick wanderte weiter zum Zeitungsstapel neben der Tür, der

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