Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)
nun ordentlich aufgeschichtet war. Er hatte aufgeräumt, den Staub beseitigt und die vertrockneten Blumen fortgeworfen, bis auf eine einzelne Rosenblüte. Die hatte er abgebrochen und auf den Tisch gelegt. Er dachte, dass er frische Blumen kaufen musste.
Die Verkäuferin räumte ihre Auslagen vom Gehweg zurück in den Laden, als Henryk ihr einen Gruß zurief, noch während er die Straße überquerte.
„Haben Sie Kornblumen da?“, fragte er.
Sie lächelte angestrengt und murmelte, dass es schon nach Acht sei. Schließlich stellte sie eine Kiste mit Tulpen ab und richtete sich auf.
„Ach wissen Sie was? Kommen Sie schnell mit rein.“
Er drückte sich zwischen Eimern voller Rosen und Dahlien hindurch, dahinter Rittersporn, Schwertlilien und Büschel von Schleierkraut.
„Ich habe Sommerblumen da, Saisonware. Da sind auch Kornblumen dabei. Wie viele möchten Sie?“
„Einen großen Strauß.“
„Wie kommen Sie gerade auf Kornblumen?“, fragte sie, während sie die Blütenstiele aussortierte. „Sind das Ihre Lieblingsblumen?“
Er beobachtete ihre Hände. Ihre Geschicklichkeit nötigte ihm Bewunderung ab.
„Nicht meine“, sagte er abwesend.
Ein Mann klinkte die Tür auf.
„Wir haben geschlossen“, rief ihm die Verkäuferin zu. „Sehen Sie“, sagte sie, zu Henryk gewandt, „Sie bringen hier alles durcheinander.“
„Tut mir leid.“ Die Kornblumen waren von tiefem Blau, dazwischen ein paar rosafarbene Blüten.
„Wie viele?“
Henryk formte ein Volumen mit den Händen. „So ungefähr?“
Sie schnürte ein Band um die Stiele und schlug den Strauß in Papier.
Er bezahlte. Die Frau sortierte die Münzen in die Kasse.
Sie blickte auf, ein halbes Lächeln in den Augenwinkeln.
„Ich hatte mal eine Kundin, die hat mich auch immer nach Kornblumen gefragt.“
„Ja?“ Sein Herzschlag beschleunigte sich.
„Sie war schon eine Zeitlang nicht mehr hier. Tulpen, Mohn und Kornblumen.“ Die Verkäuferin schüttelte den Kopf. „Den Mohn habe ich extra für sie bestellt, aber Kornblumen, mitten im Winter? Wo soll man die auftreiben? Die kann man nicht mal einzeln bestellen. Das ist Saisonware, die gibt’s nicht vor Ende März.“
Fest umklammerte er den Strauß.
Die Stimme der Frau klingelte ihm in den Ohren, als sie ihm einen Abschiedsgruß nachrief.
Er füllte die große Glasvase zur Hälfte mit Wasser und stellte die Blumen hinein. Um Platz für die Vase zu schaffen, schob er Farbtuben und Gläschen beiseite und schichtete Papierstapel aufeinander.
Er entdeckte eine Mappe mit Skizzen, die er für das erste Gemälde gefertigt hatte. Ein Farbentwurf fiel ihm in die Hand, das Blumenmädchen in gelbem Batist. Das hatten sie später geändert. Die Gesichtszüge des Mädchens waren nur vage skizziert. Erst auf der Leinwand hatte er sich entschieden, Martha zu porträtieren.
Er ließ das Blatt sinken.
Zuerst hatte ihn Helenes Ähnlichkeit zu Martha schockiert. Dabei war sie ganz und gar nicht wie Martha. Sie glich viel mehr der Frau, die er gemalt hatte, als ihrem realen Vorbild. Das faszinierte ihn.
Unschlüssig blickte er an sich herunter. Beim Abschied hatte Helene einen Scherz über seinen Mantel gemacht. Sie hatte das nicht so gesagt, aber es war ein schäbiges Kleidungsstück. An den Nähten schimmerte das Trägergewebe hindurch, die Ellenbogen und Taschen waren abgeschabt. Kragen und Ärmel hatten über die Jahre Farbe und Form verloren.
Mit einem Ruck streifte er ihn ab. Lange betrachtete er formlosen, kleinen Haufen, der nun auf dem Boden lag. Der Mantel war seine Schutzhülle gewesen, sein Kokon. Kreidespuren beschmutzten den Saum, wo er seine Hände abgewischt hatte.
Der Umgang mit Peter und Helene Baeskens hatte sich so gut angefühlt, die Anerkennung in den Augen des Sammlers wie Balsam auf verdörrten Lippen.
‚Nächste Woche geben wir eine kleine Party’, hatte Helene gesagt. ‚Möchten Sie kommen?’
So leicht war das.
Martha dagegen hatte ihn versteckt. Niemals hätte sie sich offen zu ihrer Beziehung bekannt. Weil er ein Hungerleider war, ein Habenichts. Einer, für den sich kein Mensch interessierte. Dieser Mantel, wie er da lag, schäbig in sich zusammengesunken, repräsentierte sein Leben. Er betrachtete die Ziegelwände, den fleckigen Boden, die Stahltür mit den Rostflecken. So lebte er. Er passte hierher.
Ärger stieg in ihm auf, doch das vertraute Gefühl der Lähmung blieb aus. Er konnte das ändern. Musste einfach noch einen Schritt
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