Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)
St.Gilles, in einer schattigen Straße unweit des prächtigen Hotel de Ville. Es war still im Treppenhaus, als Henryk die Stufen hinabstieg. Der Geruch nach Bohnerwachs und frischer Druckerschwärze hing in der Luft.
Er trat hinaus in die warme Luft. Spatzen stoben von einer Hecke auf. Ohne Eile lief er die Straße hinunter, vorbei an den alten Bürgerhäusern, deren Ziegelfassaden und Balkongitter den Charme vergangener Zeiten verströmten. Er entdeckte eine Brasserie und einen kleinen Supermarkt an der Ecke. Nach zehn Minuten stieß er auf dieParklaan, eine große Straße mit zahlreichen Geschäften.
Zum ersten Mal betrachtete er bewusst die Schaufensterauslagen. Er blieb vor einem Schuhgeschäft stehen. Sein Blick wanderte hinunter zu den eigenen Füßen, abgeschabten braunen Halbschuhen, die ihren Zenit längst überschritten hatten.
Dann hob er den Kopf und musterte sein Spiegelbild.
Er dachte an den Kontoauszug in seiner Tasche, und daran, dass er jetzt reich war. Vor einer Stunde hatte er den Mietvertrag unterschrieben, für eine Wohnung, die ihn monatlich soviel kostete wie das Atelier in einem halben Jahr. Die Frage der Maklerin, ob er eine Garage benötigte, hatte er bejaht. Er wollte sich ein Auto kaufen. Vielleicht so eines, wie Martha es besessen hatte, mit weichen, luxuriösen Ledersitzen. Ob er sich das leisten konnte? Er lächelte sein Spiegelbild an. Natürlich konnte er das.
Sein Leben hatte sich so sehr verändert. Der Preis dafür erschien ihm nun klein. Sie hatten doch niemandem mit dem Verkauf der Fälschung geschadet. Verhoeven hatte Recht. Sie hatten der Welt ein Kunstwerk geschenkt. Die Geldsumme, die dafür gezahlt worden war, fügte dem Käufer keine Schmerzen zu.
Im Gegenteil.
Baeskens war glücklich über seine Erwerbung, und was hatten sie anderes getan, als ihm einen Traum zu verkaufen? Nirgends stand geschrieben, aus welchem Stoff Träume bestehen müssen. Dieser hier war eben aus Leinwand und Farbe gemacht.
Er unterdrückte einen Hustenreiz. Von der Bleikocherei war etwas zurückgeblieben, das einfach nicht ausheilen wollte.
23
„Sie wohnen jetzt in der Avenue Paul Dajaer?“, fragte Helene.
„Ich hatte mal ein Büro in St. Gilles“, sagte Peter Baeskens. „Nette Gegend. Schöne alte Häuser. Wo haben Sie denn vorher gewohnt?“
„Rue Traversíere.“ Henryk schluckte einen Bissen herunter. Leise klingelte Metall an Porzellan, als er die Gabel auf den Tellerrand legte. „Das Essen ist übrigens toll.“
Helene lächelte.
„Wo ist das?“, fragte Baeskens.
„Schaerbeek.“
Nicht das Schaerbeek, dachte Henryk, das jetzt in der Vorstellung des Sammlers auftauchte. Nicht die prachtvollen Jugendstilhäuser, die Galerien und Designerstudios. Kurz überlegte er, ob er hinzufügen sollte, dass die Rue Traversíere an der Südwestgrenze Schaerbeeks verlief und bereits zum Quartier Saint-Josse-Ten-Noode gehörte, der ärmsten Kommune Belgiens. Heruntergekommene Hinterhöfe, Fassaden mit schwarzen Fensterhöhlen, Straßenschluchten voller Müll.
„Ich habe mein Atelier noch dort.“
„Darf man Sie eigentlich besuchen?“, fragte Helene.
Baeskens lachte. „Sie ist ganz besessen von der Vorstellung, Ihnen bei der Arbeit zuzusehen. Die Maler, mit denen wir sonst zu tun haben, sind immer seit mindestens hundert Jahren tot.“
„Ach hör auf.“ Sie versetzte ihm einen freundlichen Stoß. Dann wandte sie sich wieder an Henryk. „Also, erlauben Sie Gäste?“
Henryk antwortete nicht. Marthas Bild flatterte in die Realität wie eine schmutzige Folie. Die Abende im Atelier, das Licht der Straßenlaterne auf ihrem Gesicht. Eiskristalle an den Fensterscheiben, und Marthas Fingerspitzen im Raureif.
„Was ist?“ Helene klang irritiert.
Er blinzelte. Seine Augen fühlten sich so trocken an, dass es schmerzte. Beim Ablegen des Messers stieß er mit dem Handrücken gegen das Wasserglas und fing es ungeschickt mit der Linken.
„Entschuldigung“, stieß er hervor. „Ich war abgelenkt.“ Einen Herzschlag später hatte er sich wieder im Griff. „Es tut mir leid, aber im Moment können Sie leider nicht kommen. Solange ich den Vermeer restauriere, ist das Atelier geschlossen.“
„Ich verstehe.“ Enttäuschung glitt über Helenes Gesicht.
„Verhoeven macht ein ziemliches Geheimnis um den Vermeer“, sagte Peter.
„Es ist ja auch ein besonderes Gemälde.“
„Jetzt kommen Sie, lassen Sie einen alten Mann nicht dumm sterben.“
„Sind Blumen
Weitere Kostenlose Bücher