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Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Titel: Die dunklen Farben des Lichts (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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küsste ihn auf die Wange. Ungelenk zog er seinen Arm zurück. Er murmelte etwas von Stau auf dem Boulevard du Régent, eine halbe Entschuldigung. Dann wurde ihm bewusst, dass Helenes Begrüßung gar keinen versteckten Vorwurf barg, sondern nur Freundlichkeit.
    Sie sah Lauwaert an. „Kennen Sie sich?“
    „Ich habe bei ihm studiert“, sagte Henryk.
    Sie drehte sich zu ihren Begleiterinnen. „Entschuldigt ihr mich?“ Und an Lauwaert gewandt: „Und Sie auch? Darf ich ihn kurz entführen?“
    „Sicher.“ Lauwaert lächelte. „Sie ist so stolz auf das Buffet, also sei beeindruckt.“
    „Kommen Sie“, Helene deutete auf die Terrassentür, „und gehorchen Sie Ihrem Professor.“
    Sie durchquerten das Foyer und traten auf der Rückseite des Hauses wieder ins Freie. „Ich zeige Ihnen alles, und Sie müssen in Entzücken ausbrechen.“
    „Sie tragen gar nicht Ihr rotes Kleid“, sagte Henryk.
    „Was?“
    Ihm wurde bewusst, dass er einen Gedanken laut ausgesprochen hatte. Blut stieg ihm ins Gesicht. „Ich meine, das rote Kleid, das Sie auf der Vernissage in Rotterdam anhatten. Ich dachte, Sie würden es vielleicht heute Abend tragen.“ Die Silben glitten ineinander. Als er seinen Kopf hob und Helene ansah, bemerkte er, dass sie lächelte.
    „Hat es Ihnen gefallen?“
    Befangen starrte er zum Halbkreis weiß gedeckter Tische, die unterhalb der Terrasse aufgestellt worden waren. Ein Stück entfernt spielte der Pianist auf einem schwarz lackierten Flügel.
    „Spielen Sie Klavier?“, fragte er in dem Versuch, sein Unbehagen zu überspielen.
    „Warum?“
    „Wegen des Flügels.“
    „Ich nicht, aber Peter. Zumindest wollte er das, als wir den Flügel gekauft haben.“ Sie lachte leise. „Seitdem setzt er sich jedes Jahr zu Weihnachten daran, um sein schlechtes Gewissen zu beruhigen.“
    Sie stiegen die Treppen hinunter. Helene dirigierte ihn zu einem weniger dicht umlagerten Bereich des Buffets, der von alten Bäumen flankiert war. Sie nahm einen Teller für sich und reichte Henryk einen zweiten. Teelichter schwammen in Wasserschalen, Wachs und Parfümöl entwichen in die Luft und mischten sich mit dem Duft der Speisen.
    „Das hier ist mein Tisch des Buffets“, erklärte Helene. „Mein ganz privater Tisch. Was wollen Sie probieren?“
    „Was heißt das, Ihr privater Tisch?“
    „Der Ort, der für die Catering-Firma tabu ist.“ Maliziös lächelte sie. „Hier lebe ich meine geheimen Leidenschaften aus.“
    „Sie kochen gern?“
    „Mit Begeisterung. Meine Großmutter sagte immer, eine gute Küche ist die Voraussetzung für eine lange und glückliche Ehe.“
    „Und stimmt das?“
    Sie häufte sich etwas auf den Teller, das aussah wie eine Mischung aus Linsen und Kartoffelstückchen. „Keine Ahnung. Wir kochen ja nicht selbst.“ Mit den Fingern nahm sie ein Stück Schinken von einer Platte und schob es sich in den Mund. „Nehmen Sie was vom Salat.“
    „Wer kocht dann?“
    „Marianne.“ Sie verzog das Gesicht. „Unsere Haushälterin. Peter findet, wir müssten das nicht mehr selber machen.“
    „Sie nicht?“
    „Wahrscheinlich hat er Recht.“ Sie seufzte. „Deshalb bezahlen wir auch eine Catering-Firma, wenn wir eine Party veranstalten. Manchmal sehne ich mich nach den Studentenpartys von früher, wo jeder was mitbringt. Je länger das her ist, desto goldener kommt es mir vor. Los, probieren Sie meinen Salat.“
    Henryk dachte wieder, wie sehr sie sich von Martha unterschied. Helene war nicht hart. Sie genoss ohne Reue. Sie war wie eine weiche, farbenprächtige Blume. Und wenn sie lächelte, strömte Wärme aus ihr heraus.
    Er gab ihrem Drängen nach und kostete. Linsen, ganz wie er vermutet hatte. Dazwischen Bohnen und Früchte, vielleicht Mango. Petersilie, Minze, Zitronensaft... es erinnerte ihn an etwas, ein Brückenschlag zu einer längst verlorenen Welt. Hastig nahm er noch einen Bissen, um mehr von dem Geschmack zu erspüren.
    Er dachte an Stachelbeeren. Er wusste nicht, warum gerade diese Assoziation ihn überfiel, aber sie war stark, und schwer von Erinnerungen.
    „Und?“
    „Gut“, murmelte er abwesend. Sauerampfer, Zitronenmelisse, Stachelbeersträucher. Hinter dem Nussbaum, im Durchgang zwischen Gartenzaun und der rückseitigen Scheunenmauer, hatten sie im Sommer gespielt. Er versuchte sich an den Namen des anderen Jungen zu erinnern. Viktor? Der Sohn vom Nachbarshof, ein Jahr jünger als er selbst.
    „Was ist?“
    Henryk schüttelte den Kopf. „Ich musste an etwas denken.

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