Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)
ein drittes Universum. Bergketten, die Andeutung einer Stadt. Er fügte noch Rot hinzu, um es mit den Rändern zu verschmelzen.
Der Lichtkreis zitterte, als er gegen die Lampe stieß.
Er trat zurück und tastete nach seinen Zigaretten, nur um festzustellen, dass die Schachtel leer war.
Seufzend stand er auf und griff nach seiner Jacke.
Er rauchte zu viel in letzter Zeit.
Am nächsten Morgen betrachtete er lange Zeit die Serviette mit Helenes Porträt. Seit er sie dort an die Staffelei geheftet hatte, zog sie magisch seinen Blick an.
Beim Umdrehen stieß er mit dem Fuß gegen die leere Weinflasche. Die Koffeintabletten lagen daneben und die Schachtel mit den Paracetamol.
Die Sonne blendete ihn. Er schloss die Lider und genoss die Wärme. Es ging ihm besser an diesem Morgen, viel besser als all die Tage zuvor. Die Kopfschmerzen waren verschwunden. Obwohl er nur drei Stunden geschlafen hatte, fühlte er keine Müdigkeit.
Er spürte Helenes Blick auf sich ruhen, als er die Augen wieder öffnete. Das Lächeln in ihren Mundwinkeln schien sich zu vertiefen. Dann bemerkte er, dass es nur ein Windhauch war, der das dünne Papier blähte. Er dachte an den Spaziergang in der Stadt, an ihre Fröhlichkeit, ihre Begeisterung, als er sie auf der Serviette porträtiert hatte. Seltsam, dass sie die Zeichnung nicht eingesteckt hatte.
Schließlich wandte er sich ab.
Er trug das Einweckglas in die Küche, das noch immer zu drei Vierteln mit schwerem weißem Pulver gefüllt war. Wenigstens das Bleiweiß drohte ihm nicht auszugehen. Er füllte einige Löffel des Pigments in einen alten Tontopf und stellte ihn auf die Gasflamme. Während das Pulver sich erwärmte, riss er die Fenster im Atelier auf und überprüfte die Lötlampe. Er drehte die Gaszufuhr auf und entzündete die Flamme, regulierte die Sauerstoffzufuhr etwas nach oben und richtete den Feuerstrahl ins Innere des Tongefäßes. In kleinen kreisenden Bewegungen zog er den Brenner über die Masse und beobachtete, wie sich allmählich die Farbe veränderte.
Seine Gedanken wanderten zurück zu Helene.
Er überlegte, sie zu malen. Richtig zu malen, nicht nur als verknitterte Skizze. Er besaß immer noch das quadratische Stück Leinwand, das er vom Altarbild abgetrennt hatte, um das Format für den Vermeer anzupassen.
Die aufsteigende Hitze versengte ihm die Haut seines Handgelenks. Er zog den Arm zurück und wechselte den Brenner in die andere Hand.
Im Innern des Topfes bildeten sich Dampfschwaden, verdichteten sich und quollen hinaus. Zuerst wich er den Dämpfen aus. Doch immer mehr von dem Bleidampf schwängerte die Luft und ließ ihn husten. Als das Pulver sich endlich rötlich verfärbte, schaltete er die Lötlampe aus und drehte die Flamme des Gasherds auf die höchste Stufe. Dann floh er aus der Küche.
In den Baumkronen hinter dem offenen Fenster raschelte der Wind. Fernes Kirchenläuten mischte sich mit Straßengeräuschen, dann fielen dröhnend die Glocken der Eglise du Gesu ein. Es war Sonntagvormittag, da blieb es verzeihlich, wenn er die Arbeit am Vermeer für ein paar Stunden ruhen ließ.
Er maß die Seitenlängen der kleinen Leinwand ab, kramte passende Leisten aus einer Kiste, sägte sie zu und nagelte sie zu einem Keilrahmen zusammen.
Aus einer Pappschachtel schüttelte er eine Handvoll Kupfernägel, die an den Köpfen grünlich oxidiert waren und befestigte die Leinwand auf den Holzleisten. Rauchschwaden wehten von der Küche ins Atelier.
Er stand auf und hob den Vermeer von der Staffelei. Die Untermalung war getrocknet, er konnte eine neue Farbschicht in Angriff nehmen. Aber nicht heute.
Heute wollte er Helene malen.
Vorfreude kribbelte in seinem Nacken. Die kleine Leinwand war bereits von Farbe befreit, er musste nur noch die Grundierung auftragen.
Er kehrte zurück in die Küche und wedelte mit einem Handtuch die Schwaden über dem Tontopf beiseite. Das Pulver hatte eine intensiv rote Farbe angenommen. Er schaltete den Herd aus.
Ein neuer Hustenanfall überfiel ihn. Am offenen Fenster rang er keuchend nach Atem. Eine Zeitlang stand er so, vornüber gelehnt, erschrocken über sich selbst. Er würde die Bleikocherei noch ein paar Mal wiederholen müssen, um genügend Rot- und Gelbpigment zu produzieren. Nach dem ersten Vermeer hatte er Monate gebraucht, um sich von den Giften zu erholen. Und jetzt wiederholte er die Tortur. Er konnte das nicht endlos fortsetzen.
Das Telefon riss ihn aus seiner Lethargie. Es klingelte ein paar Mal
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