Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)
sie sehen?“
„Wann möchten Sie denn kommen?“
„Gleich“, sagte er matt. „Ich fahre gleich los.“
Er bewegte sich wie ein Schlafwandler die Treppen hinunter und durch die Toreinfahrt auf die Straße. In der Rue Royale hielt er ein Taxi an. Das Pochen in seinen Ohren wollte nicht abklingen. Ein süßlicher Duft klebte in den Polstern des Wagens, eine Mischung aus Parfüm und altem Zigarettenqualm. Benommen lauschte er den Verkehrsmeldungen und den krächzenden Funkansagen.
Im Schritt-Tempo quälten sie sich die Avenue Poincaré hinunter. Das Krankenhaus an der Route de Lennik lag im äußersten Westen von Brüssel.
Er fragte sich, was Helene zugestoßen war, und warum sie ausgerechnet ihn benachrichtigten, anstatt ihren Mann. Dann fiel ihm wieder ein, dass Peter im Ausland war und vermutlich nicht zu erreichen.
„Sie müssen Ihre Hände desinfizieren“, sagte die Krankenschwester.
Er gehorchte. Mit feuchten Fingern schlüpfte er in den verwaschenen blauen Kittel.
Die Stille im Korridor wurde nur von gelegentlichem Telefonklingeln und dem Piepsen der Apparate unterbrochen. Er bemühte sich, beim Gehen auf dem Linoleum keine Geräusche zu machen.
„Hier.“ Die Schwester öffnete die Tür zu einem dämmrigen Raum. „Kommen Sie.“
Helenes Bett stand in einer Nische am Fenster. Ein gelber Paravent versuchte die Illusion von Privatsphäre zu erzeugen. Jalousien filterten das Tageslicht.
Ihr Kopf war halb zur Seite gedreht. Eine breite Manschette umschloss ihren Hals. Ihr Haar sammelte sich in einer lockigen Masse auf dem Kopfkissen.
Henryk blieb stehen.
„Gehen Sie ruhig dichter heran“, sagte die Schwester. „Nehmen Sie ihre Hand.“
Steifgliedrig gehorchte er. Helenes Finger leisteten keinen Widerstand, als er sie anhob. Wie kleine Vogelschwingen. „Helene“, murmelte er, den Blick fest auf ihre Lider gerichtet. Ihre Wimpern zitterten. Ein Schlauch führte von ihrer Nase weg in ein Labyrinth aus Kanülen, Monitoren und Armaturen hinter dem Kopfende der Liege. „Hörst du mich?“
„Sie schläft. Wir haben ihr Beruhigungsmittel gegeben.“
„Und sie hat nach mir gefragt?“
„Sie hat uns Ihre Telefonnummer gegeben.“
Von der anderen Seite des Paravents tauchte eine drahtige Frau mittleren Alters auf, die er zuerst für eine weitere Pflegerin hielt, die sich dann aber als die verantwortliche Ärztin vorstellte.
„Ich bin Isabel Voghel“, sagte sie. „Wir haben vorhin telefoniert.“
Er warf noch einen Blick zu Helene, dann folgte er der Ärztin hinaus in den Korridor. „Was ist passiert?“
„Frau Baeskens wurde gestern Nacht von einem PKW angefahren. Genaueres wissen wir nicht. Es gibt keine Augenzeugen. Die Polizei hat einen Bericht angefertigt.“ Isabel Voghel zuckte mit den Schultern. „Aber das ist jetzt auch nicht so wichtig.“ Sie hielt inne. „In welcher Beziehung stehen Sie eigentlich zu der Patientin?“
Sein Mund wurde trocken. „Ich bin ein Freund der Familie.“
„Wir machen heute noch CT-Aufnahmen von ihrem Kopf und dem Oberkörper. Sie hat eine Gehirnerschütterung. Ihr Kiefer ist gebrochen. Wahrscheinlich ist sie mit dem Kopf auf den Boden geprallt. Es gibt eine Fraktur an ihrem linken Fußgelenk und Abschürfungen an Armen und Beinen.“
Übelkeit überwältigte ihn. Er taumelte und packte die Tischkante.
„Alles in Ordnung?“ Die Ärztin schob ihn zu einem Stuhl. „Kommen Sie, setzen Sie sich. Möchten Sie Wasser trinken?“
In einer Mischung aus Scham und Dankbarkeit griff er nach der Plastikflasche, die sie ihm reichte.
„Keine Sorge, das ist normal. Die wenigsten Menschen verkraften das einfach so. Trinken Sie etwas und atmen Sie tief ein und aus.“
„Tut mir leid“, murmelte er. Sein Blick wanderte zurück zum gelben Paravent.
„Wir schließen heute die Untersuchungen ab und lassen Frau Baeskens morgen im Laufe des Tages aufwachen. Am Nachmittag kommen die Kieferchirurgen und schauen sich die Frakturen im Gesichtsbereich an. Möchten Sie, dass ich Sie anrufe und Ihnen das Ergebnis mitteile?“
Er nickte. „Wann kann ich wiederkommen?“
„Morgen Abend. Dann ist sie wach.“ Sie streckte eine Hand aus und drückte seinen Arm. „Möchten Sie noch einmal zu ihr, bevor Sie gehen?“
Er nickte erneut.
Es ging ihm nicht gut, als er zum zweiten Mal ins Hospital Erasme fuhr. Er hatte kaum geschlafen, weil er sich Sorgen um Helene machte und nicht wusste, was er tun sollte.
Ihn
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