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Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Titel: Die dunklen Farben des Lichts (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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Bosteels als armselig bezeichnet. In seiner Erinnerung materialisierte sich ihre kurze Begegnung im Hof vor Bosteels Werkstatt. Ein ältlicher Herr, freundlich, zurückhaltend. Er war zu Unrecht gedemütigt worden.
    Henryk blieb stehen und musterte den Eingang zum Krankenhaus, das weiß gestrichene, säulengestützte Portal mit der kleinen Treppe.
    Die Schuldgefühle kehrten zurück. Hinter ihm schrillte ein Klingeln auf. Er fuhr zusammen und wich zur Seite. Ein Fahrradfahrer schoss an ihm vorbei.
    Mit einem Ruck setzte er sich in Bewegung, überquerte halb laufend die Straße und verlangsamte seine Schritte erst, als der Kies der Krankenhauszufahrt unter seinen Füßen knirschte. Er betrat das dämmrige Foyer und wandte sich zu einem Tresen, der mit Information beschriftet war.
    „Ich möchte einen Patienten besuchen“, stieß er hervor. Die Worte in seinem Mund fühlten sich an, als hätten sie scharfe Kanten. „Jan Bosteels. Können Sie mir sagen, wo ich ihn finde?“
    „Bosteels?“, wiederholte sie. „Moment bitte.“ Ihre Finger glitten über die Tastatur. Sie runzelte die Stirn und blickte wieder auf. „Jan Bosteels. Eingeliefert am fünfzehnten Juli?“
    Er nickte.
    Die Falten auf ihrer Stirn vertieften sich. „Und wie ist Ihr Name bitte?“
    „Henryk Grigore.“
    Sie schrieb etwas auf einen Zettel. „Grigore? Können Sie das buchstabieren?“
    Er gehorchte.
    „Sind Sie mit dem Patienten verwandt?“
    „Wir sind“, er zögerte, wie schon einmal bei den Polizisten, „gute Freunde.“
    „Dann wissen Sie es nicht?“ Sie biss sich auf die Unterlippe. „Herr Bosteels ist verstorben. Schon vor zwei Tagen. Es tut mir sehr leid. Möchten Sie mit dem Stationsarzt sprechen?“
    Henryk spürte, wie ein Schleier sich auf seine Sinne senkte. Ein dichtes Tuch, das die Geräusche dämpfte und Farben und Konturen verzerrte. Er starrte auf die Uhr an der Wand hinter der jungen Frau und auf das Plakat daneben, das Werbung für eine Zukunft ohne Drogen machte. Er wartete darauf, dass sich der Boden unter seinen Füßen auflöste.
    Doch nichts geschah.
     
     
     
    Später konnte er sich kaum daran erinnern, wie er vom Klinikum zum Atelier gelaufen war.
    Er stand am Fenster und rauchte eine Zigarette nach der anderen. Seine Betäubung wich nach und nach einem diffusen Schmerz. Langsam zog die Nacht herauf.
    Er starrte auf die gelben Vierecke am Boden, das Licht der Straßenlampen. Er bewegte sich, so dass seine Silhouette sich schwarz im hellen Rahmen abmalte. Er versuchte sich an Bosteels’ Gesicht zu erinnern. Graue Stoppeln auf den Wangen, und die dickglasige Brille, die seine Augenpartie verzerrte. Hatte Bosteels Verwandte gehabt? Freunde? Wie hatte er sich gefühlt, auf den Stufen zu Baeskens’ Haus, als Helene ihn als Hochstapler bezeichnete? Dabei war er sicher stolz gewesen auf seine Arbeit. Einen Vermeer vertraute man nicht einfach irgendjemandem an.
    Henryk drückte die Zigarette auf dem Fensterbrett aus und schaltete die kleine Lampe ein. Die Staffelei mit der Fälschung stand knapp außerhalb des Lichtkreises. Er war beinahe fertig mit dem Bild. Die Firnisschichten fehlten noch und die Craquelure. Und immer noch lächelte Helene von der Leinwand herab.
    Er richtete den Kegel der Lampe auf Helenes Gesicht. Das musste er noch übermalen. Auf dem Tisch stand die Palette mit den Vermeer-Farben, die er seit Wochen nicht mehr angerührt hatte. Die Ölschicht hatte sich zu einer dunklen Haut verfestigt. Zäh haftete das Weiß an den Borsten, als er mit dem Pinsel darin rührte.
    Er gab etwas Gelb hinzu und grüne Erde. Dann setzte er die Pinselspitze auf die Leinwand und zeichnete dünn eine neue Kontur. Er veränderte die Nase, machte sie schmaler und kürzer über den Lippen. Den Wangen verlieh er mehr Fülle. Mit einer Drehung des Handgelenks wollte er den Strich vollenden, doch die Pinselborsten drückten zur Seite und hinterließen einen hässlichen, weißen Fleck im Mundwinkel. Fluchend ließ er den Pinsel fallen.
    Seine Hände zitterten schon wieder.
    Er holte eine halb angebrochene Flasche Wein aus der Küche, schüttelte sich zwei Paracetamol und eine Koffeintablette auf die Handfläche und spülte alles mit einem großen Schluck hinunter.
    Sein Blick wanderte zurück zu der missratenen Partie. Ihm fiel auf, dass das Mädchen nun beinahe aussah wie die idealisierte Martha, die er für den ersten Vermeer gemalt hatte.
    So viel war geschehen seit Marthas Tod. Es schien ihm wie eine Ewigkeit, dabei

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