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Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Titel: Die dunklen Farben des Lichts (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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nickte, dann machte sie eine vage Handbewegung. „Ich kam aus dem Restaurant und wollte zum Auto. Ich habe den anderen Wagen nicht gesehen. Er war plötzlich da.“
    „Und erinnerst du dich, was für ein Wagen?“
    „Das hat mich die Polizei gestern auch gefragt.“
    „Und?“
    „Groß und dunkel. Keine Ahnung. Vielleicht dunkelblau. Ich weiß nur noch, wie ich dachte, wieso blendet er seine Scheinwerfer nicht ab? Wahrscheinlich war er so erschrocken, dass er lieber das Weite suchte, anstatt nachzusehen, wen er über den Haufen gefahren hat. Ein Anwohner hat den Krankenwagen gerufen.“
    „Die Ärztin sagt, dass du Glück hattest.“
    „Keine Ahnung.“ Sie schloss für einen Moment die Augen. „Als ich zum ersten Mal mein Gesicht im Spiegel sah, dachte ich, dass ich nie wieder auf die Straße gehen kann.“
    „Das heilt alles wieder.“
    Sie tastete nach der Narbe auf ihrer Stirn. Ihre Lippen zitterten und gaben die Lücken zwischen ihren Vorderzähnen preis. Dort wo die Naht zur Oberlippe verlief, war das Zahnfleisch wund und aufgedunsen.
    „Er darf mich nicht so sehen“, flüsterte sie.
    „Peter?“
    Sie nickte.
    „Du machst dir unnötige Sorgen.“ Die ganze Zeit hatte sie Peter kein einziges Mal erwähnt. Und Henryk, der ihre Anspannung spürte, fragte nicht. Er wollte sie nicht zwingen, über etwas zu reden, das ihr so offensichtlich unangenehm war. „Er wird froh sein, dich lebend zu sehen, egal in welchem Zustand.“
    „Nein.“ Sie schüttelte den Kopf.
    „Ist er nicht schon wieder in der Stadt? Er hat seit drei Wochen nichts von dir gehört. Er muss krank vor Sorge sein.“
    „Nein.“ Jetzt klang sie wütend und trotzig.
    „Willst du darüber reden?“
    Eine lange Pause entstand.
    „Wir haben gestritten“, sagte sie endlich. „Wir telefonieren nicht miteinander. Und ich weiß auch nicht, wann er zurückkommt.“ Sie hustete. Ihre Hand fuhr zur Kehle, sie kniff die Augen zusammen. „Das ist früher auch schon passiert. Er ist geschäftlich unterwegs, aber er bleibt länger als notwendig und ruft nicht an. Und ich rufe ihn auch nicht an.“
    Halb erwartungsvoll, halb beklommen sah Henryk sie an.
    „Es ging um die Bilder. Es geht immer um die Bilder.“ Ihr Seufzen klang wie ein Asthmaanfall. „Unsere Vorstellungen von Ethik weichen voneinander ab. Peter betrügt die Leute nicht direkt. Aber er nutzt ihre Unwissenheit aus.“
    „Er kauft einem kleinen Antiquitätenhändler einen Rubens für viertausend Dollar ab.“
    „Ist es das, was er dir erzählt hat?“ Sie schüttelte den Kopf. „Peter ist ein Ästhet. Er liebt schöne Dinge. Wenn er etwas Schönes besitzen will, würde er alles dafür tun.“
    Ihre Hand tastete nach seiner. Er spürte ihre Fingerspitzen in seiner Handfläche wie kleine kalte Tropfen, die in der Wärme schmelzen wollten.
    „Ist dir klar, dass du etwas Besonderes bist?“, fragte sie.
    Er hielt den Atem an und regte sich nicht.
    „Du heilst zerbrochene Schönheit. Das ist es, was ihn so an dir fasziniert. Du wischt den Staub und die Jahrhunderte fort und bringst die Schönheit wieder zum Strahlen. Ich finde, das hat etwas Göttliches.“
    „Ich weiß nicht“, murmelte er.
    „Ich bin auch eins von seinen schönen Dingen.“ Noch immer lagen ihre Finger in seinen. „Nur dass jetzt Sprünge im Lack sind und die Emaille abgeplatzt.“
    „Was?“
    „Nicht mehr schön genug für den Podest im Eingangsbereich.“ Ihre Wimpern schwammen. Tränen sickerten in zwei schmalen Bahnen über ihre Schläfen ins Haar.
    „Jetzt redest du Unsinn.“ Er zwang Festigkeit in seine Stimme. „Ein Mensch ist kein Ding.“
    „Wenn ich eins von diesen Bildern wäre“, schluchzte sie, „könntest du mich einfach restaurieren.“
     
     
     
    Auf dem Rückweg ließ Henryk das Taxi ein paar Straßen vor seinem Atelier halten, um das letzte Stück zu Fuß zu gehen.
    Helenes Andeutungen über Peter verstörten ihn. Sie hatten sich in seinem Kopf festgesetzt und lauerten dort wie ein giftiges Insekt. Er fühlte sich wie jemand, der zufällig einen Mord belauscht hat und nicht weiß, was er mit seinem Wissen anfangen soll.
    Unschlüssig starrte er hoch zu den Dächern der Clinique St. Jean auf der anderen Seite der Straße. Wieder dachte er an Jan Bosteels und den Zettel mit der Telefonnummer, der immer noch in seiner Brieftasche steckte. Er hatte natürlich nicht angerufen. Es war leicht gewesen, nicht mehr daran zu denken. Nun, wo seine Sorgen um Helene kreisten.
    Helene hatte

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