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Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Titel: Die dunklen Farben des Lichts (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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als bekäme sie nicht genug Luft. „Der Schlüssel ist vorn in der Tasche.“
    Er bückte sich, zog den Reißverschluss auf und ertastete ein Schlüsselbund.
    „Der mit der blauen Kappe.“ Helene drehte sich, so dass sie mit dem Rücken an den Steinen lehnte. Sie ließ sich daran heruntergleiten, bis sie mit angezogenen Knien auf den Steinplatten saß. „Keine Sorge, mir geht’s gleich besser.“
    Er drehte den Schlüssel herum und stieß die Metalltür auf. Dann streifte er sich die Tasche über die Schulter, ließ sich auf die Knie herunter und sah Helene an.
    Ihre Lider zitterten.
    Vorsichtig schob er einen Arm unter ihre Knie, den anderen legte er um ihre Hüften. Er richtete sich zu einer halb gebückten Position auf, spannte seine Muskeln und hob sie an. Sie war nicht so schwer, wie er befürchtet hatte. Tatsächlich schwankte er nur ein wenig auf den ersten Schritten, dann fand er eine stabile Haltung.
    „Was machst du?“, protestierte sie.
    „Ich trage dich ins Haus.“
    „Lieb von dir.“
    Kies knirschte unter seinen Schuhen. Er war diesen Weg schon ein paar Mal gegangen, aber nie war ihm aufgefallen, wie steil er auf dem letzten Stück anstieg. Seine Arme begannen zu erlahmen. Mit zunehmender Anstrengung setzte er einen Fuß vor den anderen. Helene kicherte, ein Zeichen, dass ihre Lebensgeister zurückkehrten. Hinter der letzten Biegung tauchte die Hausfront auf. Henryk blieb stehen.
    Die Tür stand halb offen. Ein paar Meter entfernt parkte Peters silberfarbener Lexus. Helene machte einen kleinen Laut.
    Der Stoff ihrer Jacke begann in seinen Händen zu rutschen. Aus dem halbdunklen Hausflur löste sich eine Gestalt. Und er ließ viel zu schnell los.
    Helene stürzte beinahe, als sie den Boden berührte. Ihr Fuß knickte zur Seite, ihre Finger krallten sich in Henryks Arm.
    „Möchtet ihr mir verraten, was genau ihr da tut?“ Kühle schwang in Baeskens’ Tonfall, eine konsternierte Distanz. Zwischen seinen Brauen war eine Falte entstanden.
    „Ich habe ihr geholfen.“ Röte schoss Henryk ins Gesicht. „Ich habe sie aus dem Krankenhaus abgeholt.“
    Peters Blick heftete sich auf Helene. Die Härte wich aus seinen Augen und machte etwas anderem Platz. Er schien erst jetzt die Halskrause zu bemerken, und den Mullverband in ihrem Gesicht.
    „Mein Gott, was ist denn passiert?“
    „Sie hatte einen Autounfall.“ Henryk hörte sich selbst wie durch eine dichte Schicht Watte. Die Silben stürzten ihm wie Eisstückchen über die Lippen, lagen nackt vor Aufregung und ungeschliffen und fielen durcheinander in den Niederungen seines Akzents. „Ich habe sie nur vom Krankenhaus abgeholt und nach Hause gebracht.“
    „Warum habt ihr mich nicht angerufen?“
    Er spürte, wie ihm etwas entglitt. Sein Blick pendelte Hilfe suchend zu Helene, driftete zurück zu Peter. Etwas Unausgesprochenes hing in der Luft und er hatte plötzlich schreckliche Angst vor dem, was Baeskens als nächstes sagen würde.
    „Schon gut, Peter.“ Helene ließ Henryks Arm los und machte einen Schritt von ihm weg. „Er kann nichts dafür. Hilfst du mir?“
    Henryk ließ die Tasche zu Boden sinken.
    Er sah zu, wie Peter einen Arm um Helenes Hüften legte, wie er sich herabbeugte und sie auf die Wange küsste, sehr vorsichtig. Und dann auf die Lippen.
    Mit einemmal schien er unsichtbar geworden zu sein. Er war degradiert zum Eindringling, zu einem lästigen Zeugen. Baeskens führte seine Frau die Stufen hinauf, einen Schritt vor den anderen. Sie tauchten in die schattige Dunkelheit des Foyers und kehrten nicht zurück.
    Und Henryk stand reglos, neben sich die Tasche im Sand.
    Es verging einige Zeit, ein paar Herzschläge, vielleicht Minuten, die sich anfühlten wie Stunden. Die Erstarrung fiel von ihm ab. Es blieb nur Scham zurück.
    Er dachte an den Moment, in dem dieses Bedrohliche in Baeskens Blick aufgetaucht war, die Spur roher Gewalt, die nicht zu seiner kultivierten Persönlichkeit passte. Endlich wandte er sich um und lief die Auffahrt herunter. Er machte langsame, kleine Schritte, damit er sich umdrehen und zurückkehren konnte, falls ihn jemand zurückrief.
    Aber es kam niemand und rief ihn zurück, und als er unten an den Torpfosten der Ausfahrt anlangte, musste er krampfhaft die Tränen unterdrücken.
     
     
     
    Er taumelte gegen den Tisch, als die Mischung zu wirken begann. Er hatte begonnen, die Dosis zu verdoppeln, weil seine Hände sonst nach kurzer Zeit so sehr zitterten, dass er überhaupt nicht mehr malen

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