Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)
konnte.
Zuerst entfaltete sich die Wirkung des Koffeins in einem heftigen Flash, der ihm das Gefühl gab, alle Details mit maximaler Schärfe wahrzunehmen, der aber einen bitteren Beigeschmack mit sich führte. Wie Säure, die seine Synapsen verätzte. Dann sickerte Paracetamol in seinen Organismus und glättete die überreizten Nerven. Ruhe erfüllte jede Faser seines Köpers, verlieh seinen Fingern Schwere und seinem Geist Distanz.
Er stieß sich von der Tischkante ab und griff nach dem Pinsel. Er verdünnte die Farbe in den Borsten mit Öl und vollendete einen Lichtreflex auf der Nase des Mädchens. Die Glocken der Eglise du Gesu schlugen Mitternacht.
Er ließ sich in ihre Augen sinken.
Diese Augen.
Die hatte er unverändert gelassen.
Es waren Helenes Augen, und es erfüllte ihn mit einer seltsamen Befriedigung, zu wissen, dass er der einzige war, der ihr Geheimnis kannte.
Ein Schimmer Grün lag im Blau der Pupillen, und ein Glanz, der nicht nur vom Lichtschein herrührte.
34
Die Bürde wurde leichter in dem Moment, da er den Vermeer an die Wand lehnte, damit die Farbschichten durchtrocknen konnten.
Henryk empfand Dankbarkeit, sich nun endlich auf ein einziges Ziel konzentrieren zu können.
Auf der Staffelei ruhte eine große Leinwand, das letzte Bild der Serie.
Er rieb Weiß und Gelb auf einer Glasplatte an. Regen prasselte monoton gegen die Fenster, im Gleichklang mit dem Auf und Ab seiner Hand. Dies war das letzte Bild der Seelengitter-Serie. Nun, da der Vermeer vollendet war, benutzte er die kostbaren Pigmente für seine eigenen Bilder. Er musste nicht länger sparsam damit umgehen. Einen dritten Vermeer würde es nicht geben.
Mit diesem letzten Bild hatte er sich Zeit gelassen. Verhoeven hatte die Ausstellung für Mitte Oktober angesetzt, das waren noch mehrere Wochen. Dies hier war das wichtigste Bild und es stand kurz vor der Vollendung.
In endlosen Nächten hatte er seine Kunst verfeinert. Inspiriert von Rotwein und den Gesprächen mit Baeskens, hatte er dieses glänzende schwarze Netz auf die Leinwand gebannt, dessen Vielfalt ihn im Nachhinein selbst überraschte.
Mit einer kleinen Drehung des Handgelenks tauchte er den Pinsel ins Weiß und modellierte eine Lichtkante. Die Vermeer-Pigmente, in Nussöl angerieben, ließen sich weicher verteilen als moderne Farben und schienen mehr Leuchtkraft zu besitzen. Er fügte etwas Blau hinzu und einen Stich Gelb und modellierte die Übergänge. Eine Hand formte sich in den Schatten, die Andeutung eines Gesichts.
Das Traditionelle bewahren und mit dem Neuen verbinden, das war es, woran Baeskens glaubte. Henryk wollte nicht an ihn denken und tat es trotzdem, die ganze Zeit. Er hatte den Sammler nicht wiedergesehen, seit er Helene vom Krankenhaus nach Hause begleitet hatte. Und auch Helene meldete sich nicht.
Vielleicht wartete sie darauf, dass er sie anrief. Sie hatte ihm ihr Vertrauen geschenkt. Sie hatte eine Tür aufgestoßen, doch nur zur Hälfte. Und nun war es an ihm, sich durch die Öffnung zu zwängen.
Er trug mehr Farbe auf, wo die Frauengestalt mit den Schatten verschmolz. Sein Pinselstrich war nun der Pinselstrich Vermeers. Er webte Ultramarin in die Schatten und verlieh dem Blau einen grünlichen Schimmer.
Dann trat er einen Schritt zurück.
Regen tropfte auf das Fensterblech, heftiger als zuvor. Der Wind trieb das Wasser in breiten Schlieren über die Scheiben.
Anders als auf den anderen Bildern der Serie hatte er das Netz grobmaschig angelegt, nur sechs Quadrate, die sich nach unten verjüngten. Jedes der Quadrate markierte den Eingang in einen Raum, und in den Schatten der Räume verbargen sich Aspekte einer Frau. Eine Hand, eine Schulter, eine Haarlocke über dem Ohr.
Doch er ließ ihre Gesichtszüge im Dunkeln. Sie hielt ihr Antlitz abgewandt und erlaubte es nicht, dass Licht ihr Geheimnis entzauberte.
Henryk lauschte ihrem Wort, folgte ihren geflüsterten Wünschen. Sein Pinsel schattierte ihre Haut, verlieh dem Haar einen leichten Schimmer. Ganz kurz hatte er ihre Augen enthüllt, für einen flüchtigen Blick. Blau waren sie, wie stehendes Wasser, mit einem winzigen Stich Grün. Und wenn sie lachte, dann wurden sie dunkel und gewannen an Tiefe.
Er brannte darauf, Peter das Bild zu zeigen. Er sehnte diesen Moment herbei und fürchtete ihn zugleich. Er wusste nicht, ob Peter es erkennen würde. Es war das Vermeer-Mädchen, das sich in den Schatten verbarg, Helene und Martha zugleich.
Er legte den Pinsel
Weitere Kostenlose Bücher