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Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Titel: Die dunklen Farben des Lichts (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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waren kaum ein paar Monate vergangen. In seinem Kopf flammte eine bohrende kleine Dissonanz auf.
    Sie hatte einen Autounfall gehabt, doch er hatte nie nach den Details gefragt. Die Trauer hatte ihn gelähmt und alles andere bedeutungslos gemacht. Er wühlte in seiner Erinnerung wie in einer staubigen Kiste. Was für eine Art von Autounfall?
    Unbehaglich starrte er hoch in das übermalte Gesicht.
    Zu viele Unfälle.
    Er packte die Weinflasche und stürzte den Inhalt in drei langen Zügen hinunter.
     
     
     
    Am nächsten Morgen rief er bei der Polizeiverwaltung in Brüssel-Evere an. Die Dame in der Zentrale verband ihn mit einer Abteilung für Verkehrsdelikte, wo schließlich ein Inspektor Lavalle seine Anfrage anhörte.
    „Der Fall ist abgeschlossen“, sagte Lavalle. „Es gab eine Anzeige gegen Unbekannt, wegen fahrlässiger Tötung, aber der Fahrer des PKW konnte nicht ermittelt werden.“
    „Was für eine Art Unfall war es?“, beharrte Henryk. „Was ist genau passiert?“
    „Stellen Sie einen Antrag auf Akteneinsicht, dann können Sie alle Details abfragen.“
     
     
     
     „Die Rue des Bouchers stößt doch auf den Grand Place.“ Henryk wischte sich eine Locke aus der Stirn. „Das ist alles Fußgängerzone. Selbst wenn es ein Anwohner war, dort ist nur Schritttempo erlaubt.“
    „Vielleicht war der Mann betrunken.“ Helene saß auf einem Stuhl neben ihrem Bett. Sie trug die Leinenhose und eines der T-Shirts, die er ihr gekauft hatte. Ihr Haar hatte sie zu einem Zopf gebunden.
    „Das klingt jetzt vielleicht seltsam.“ Er zögerte. „Aber bist du sicher, dass es ein Zufall war?“
    Eine kleine Falte erschien über ihren Brauen. „Was meinst du damit?“
    „Ich meine nur, dass es nicht normal ist, dass jemand in einer Fußgängerzone so schnell fährt.“
    „Außer er ist betrunken. Deshalb hat er mich auch nicht gesehen.“
    Er wischte sich mit der Handfläche über die Augen.
    „Du siehst krank aus“, sagte sie.
    Er widerstand dem Drang, sein Gesicht abzuwenden.
    „Schlimmer als ich.“ Sie lachte leise.
    Er war froh, dass es nicht länger wie Keuchhusten klang. Sie hatten ihr die Kanüle aus der Luftröhre entfernt und den Schnitt wieder verschlossen.
    „Vielleicht solltest du dich etwas schonen.“
    „Ich habe gerade viel zu tun.“
    „Und dann komme auch noch ich und halte dich von der Arbeit ab.“
    Sie schwiegen ein paar Minuten.
    „Am Montag darf ich nach Hause.“
    Er spürte einen Stich Eifersucht, wie vor einem drohenden Verlust. „Ich kann dich heimbringen.“
    „Das wäre schön.“
    Er fragte sich, ob Peter Baeskens zurück war und sie erwarten würde.
    Am Montag hatte er einen Termin beim Polizeipräsidium bekommen, um die Akte einzusehen. Danach wollte er mit einem Taxi zum Hospital Erasme fahren und Helene abholen. Er musste sich endlich ein Auto kaufen.
    „Und du kannst dich wirklich an nichts weiter erinnern?“
    „Nein. Denkst du, er hat mich absichtlich überfahren? Komm schon, das ist doch kein Fernsehkrimi.“
    „Vielleicht wenigstens die Automarke?“
    „Es war dunkel, und ich habe ihn nicht gesehen!“ Ihre Stimme schwoll an. „Jedenfalls nicht lange, sonst wäre ich ja ausgewichen. Ich glaube, der Wagen war dunkelblau, und ziemlich groß. Ein Kombi vielleicht, keine Ahnung.“
    „Tut mir leid.“ Er legte eine Hand auf ihren Arm. In den letzten Tagen und Wochen waren sie sich so nahe gekommen wie nie zuvor. Die Geste war wie ein Reflex und sie zuckte nicht zurück. Sie zuckte nie zurück vor seiner Berührung.
    Der Gedanke, sie zu verlieren, fühlte sich unerträglich an. 
     

33
     
     
     
    Auf dem Weg von der Polizeistation zum Krankenhaus studierte Henryk die Dokumente. Im Taxi entfaltete er die Kopie des Abschlussberichts, den sie ihm in der Avenue de Roodebeek mitgegeben hatten.
    Die Akten waren öffentlich, die Ermittlungen im Fall Martha Haussen abgeschlossen. Der Bericht gab Antwort auf eine Frage, die Henryk zuletzt nicht mehr aus dem Kopf gegangen war. Die ganze Zeit hatte er geglaubt, dass sie selbst am Steuer gesessen hatte. Tatsächlich aber hatte sie zu Fuß eine Straße überquert, als ein Wagen sie erfasst und gegen einen Laternenmast geschleudert hatte. Sie war auf dem Weg zum Krankenhaus verstorben. Schwere Frakturen im Bereich der Halswirbelsäule und des Schädelknochens, stand im ärztlichen Gutachten.
    Ein Augenzeuge hatte den Unfall beobachtet. Der Wagen hatte eine rote Ampel überfahren und Martha auf dem Fußgängerüberweg

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