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Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Titel: Die dunklen Farben des Lichts (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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beiseite, nestelte sein Handy aus der Hosentasche und betrachtete das Display. Dann suchte er Helenes Nummer. Was war schon dabei, wenn er sie anrief? Sie konnte das kaum als Aufdringlichkeit werten. Ein Gebot der Höflichkeit war es, dass er nachfragte, ob es ihr besser ging.
    Vorsichtig drückte er die Ruftaste.
     
     
     
     „Ja hallo?“, meldete sich Peter Baeskens.
    Henryk zögerte. „Ich bin es“, sagte er schließlich. „Henryk Grigore.“ Ist Helene zu sprechen, wollte er fragen. Aber er fragte nicht. Er wartete nur, und fühlte sich ertappt, weil er auf Helenes Privathandy angerufen hatte, nicht auf der Festnetznummer, die sie mit Peter teilte. Und weil Peter abgenommen hatte.
    „Was macht die Kunst?“ Peter klang gutgelaunt, wie immer. Kein Misston schwang in seinen Worten, kein versteckter Groll.
    Henryk befeuchtete seine Lippen. „Ich wollte fragen, wie es Helene geht.“
    „Besser. Sie hat nach Ihnen gefragt. Übrigens, ich habe mich noch gar nicht bedankt.“
    „Bedankt?“
    „Dass Sie sich um sie gekümmert haben.“
    „Kein Problem“, murmelte Henryk. „Das war doch selbstverständlich.“
    „Ich hatte ein paar Mal versucht, sie anzurufen, aber natürlich konnte sie nicht ans Telefon gehen. Und wie sollte ich wissen, dass ...“ Er brach ab.
    Henryk war erleichtert, dass Peter nicht fragte, warum er ihn nicht angerufen hatte, nachdem er von Helenes Unfall erfahren hatte. Oder vielleicht fürchtete er sich auch vor der Antwort auf die Frage. Der Riss, der zwischen den beiden klaffte, war unübersehbar. Verständlich, dass Peter Baeskens das nicht mit einem Fremden diskutieren wollte. Noch dazu jemandem, der seiner Frau auf fragwürdige Weise nahe stand.
    „Ich wollte Ihnen danken“, wiederholte er.
    Eine Pause entstand.
    „Ich habe noch ein paar Sachen“, sagte Henryk. „Aus dem Krankenhaus. Wenn Sie möchten, kann ich sie vorbeibringen.“
    „Das ist nett von Ihnen.“ Die Antwort kam eine Winzigkeit zu schnell. „Vielleicht morgen? Wir könnten zusammen zu Mittag essen.“
     
     
     
    Eine halbe Stunde später rief ihn Helene an. Ihre Stimme schwang leise und belegt durch die Leitung.
    Er ließ den Pinsel auf die Ablage fallen und stand mit dem Handy am Ohr auf. Sein Herzschlag stieg ihm in die Kehle. Er riss einen Fensterflügel auf, weil er plötzlich das Bedürfnis hatte, frische Luft zu atmen.
    „Wie schön, dass du anrufst.“ Seine Stimme zitterte, ohne dass er etwas dagegen tun konnte.
    „Es geht mir viel besser.“
    „Das hat Peter auch gesagt.“
    „Ich will nicht, dass er an mein Handy geht, aber er ignoriert das einfach.“ Etwas raschelte im Hörer, dann ein Geräusch, wie eine Tür, die ins Schloss fällt.
    „Er hat mich für morgen zum Mittagessen eingeladen.“ Henryk versuchte, seinen Tonfall zu stabilisieren.
    „Können wir uns vorher sehen?“ Ihre Stimme sank noch weiter ab. „Darf ich heute Abend vorbeikommen?“
    „Aber ich bin im Atelier.“
    „Dann komme ich dorthin. In Schaerbeek, oder?“
    Er zögerte. Verhoeven hatte sich angekündigt, um die Bilder für die Ausstellung durchzugehen. Er wusste, dass er Helene eigentlich vom Atelier fernhalten sollte. Aber der Vermeer war fertig und sie würde keinen Verdacht mehr schöpfen, wenn sie ihn sah. Im Grunde seines Herzens sehnte er sich danach, ihr diesen Teil seines Lebens zu zeigen. Sie wusste so wenig von ihm. Wie konnte sie jemanden lieben, von dem sie so wenig wusste? Der Gedanke ließ ihn zusammenzucken.
    „Bist du noch da?“, fragte sie.
    Er streckte eine Hand hinaus in den Regen. „Rue Traversíere. Das zweite Haus, wenn du von der Rue Royale einbiegst. Ein großes Backsteingebäude. Du parkst im Hof und gehst durch die Stahltür, die Treppen hinauf.“
    Sie lachte. „Klingt wie die Beschreibung zu einem Gefängnis. Ich komme so gegen Neun, oder ist dir das zu spät?“
    Er dachte an Verhoeven. „Lieber halb zehn.“
    „Danke.“ Es klickte im Hörer. Sie hatte aufgelegt.
     
     
     
    Kurz vor sieben Uhr spülte Henryk die Pinsel mit Terpentin aus und zog einen Ölfilm über die Palette. Mit einer Zeitung setzte er sich aufs Fensterbrett und versuchte, die Magenschmerzen zu ignorieren, die ihn mit der zunehmenden Nervosität überfielen.
    Er spähte hinab auf die Straße, dann wieder warf er einen Blick auf die Uhr am Handgelenk. Ein Wagen löste sich aus der Schlange der Autos und blinkte. Verhoevens dunkelblauer Volvo. Er beobachtete, wie Verhoeven in die Hofeinfahrt bog, kurz

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