Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)
nicht.
„Was ist eigentlich mit den anderen Bildern?“, fragte Verhoeven. „Für die Ausstellung?“
Schweigend deutete Henryk zur gegenüberliegenden Seite des Raumes. Dort hatte er sie aufgereiht, die großen gegen die Wand gelehnt, die kleineren auf den Boden gelegt. Reglos sah er zu, wie Verhoeven die Bilderreihe abschritt. Der Galerist bückte sich und hob eines der kleinen Formate auf, die vergrößerte Abbildung einer einzelnen Zelle.
„Das ist hübsch“, murmelte er. „Originell.“
Er legte den Rahmen zurück auf den Boden und drehte sich um zur Staffelei. „Da schlägt der Vermeer durch, was? Altmeisterliche Techniken neu entdeckt. Hast du mal überlegt, ein Buch darüber zu schreiben?“
Henryk starrte ihn nur an. Er fühlte sich leer und besudelt und wusste, dass er das Gefühl mit Wasser nicht abwaschen konnte. Vielleicht würde er es nie mehr abstreifen können und musste es für den Rest seines Lebens ertragen.
Verhoeven zog einen kleinen Block aus seiner Hemdtasche und schrieb etwas auf. Er kehrte zurück zu den anderen Bildern und machte weitere Notizen. „Wir nehmen Holzrahmen. Dunkel mattiert, ganz schlicht.“ Dann griff er nach der Türklinke. „Das war’s schon. Reparierst du jetzt den verdammten Vermeer?“
Henryk stieß sich von der Tischkante ab.
„Ich komme noch mit runter.“
Er hatte nur einen kurzen Blick auf den Stoßfänger werfen können. Der Regen hatte Teile der Staubschicht abgewaschen. Darunter ließen sich keine Schrammen erkennen, jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Andererseits hatte Verhoeven eventuelle Schäden sicher längst ausbessern lassen. Er wäre ja verrückt gewesen, es nicht zu tun.
Hinter dem Glas saßen Xenon-Leuchten, aber in Brüssel fuhren tausende dunkelblauer PKWs mit Xenon-Leuchten herum.
Zurück im Atelier, reparierte er den Bruch im Keilrahmen des Vermeer mit Stahlklammern. Holz knirschte, aber die Verbindung hielt. Er hatte auch die Beule in der Leinwand gerichtet. Glücklicherweise war der Stoff nicht gerissen.
Er hob das Bild hoch und stellte es auf die zweite Staffelei, dann drehte er sie so, dass das Licht der Straßenlaterne einen Reflex auf dem Firnis bildete. Helene musste jeden Moment eintreffen.
Auf dem Tisch stand ein frischer Strauß aus Astern und Kornblumen, den er im Blumenladen auf der anderen Straßenseite gekauft hatte, nachdem Verhoevens Wagen hinter der Straßenkreuzung verschwunden war.
Mit dem Zeigefinger malte er Linien in die Wassertropfen auf dem Fensterglas. Der Knoten in seiner Brust erdrückte ihn fast. War Verhoeven ein Mörder oder nicht? Für einen Moment war er ganz sicher gewesen. Aber er wusste es einfach nicht.
Und nun stand er hier und wartete auf Helene. Er war furchtbar nervös. Ein Chaos aus Furcht und Hoffnung tobte in seinem Kopf.
Er starrte auf die Uhr, die Martha ihm geschenkt hatte. Der Minutenzeiger rückte um eine Winzigkeit vor. Die Rado besaß keine Sechziger-Einteilung, nur vier kleine goldene Punkte. Es war kurz vor Zehn, der Zeiger füllte ein weiteres Rund.
Endlich schrillte die Klingel.
Helene trug keine Halskrause mehr. Stattdessen verhüllte ein weißes Seidentuch ihre Kehle. In ihren Jeans und dem grauen Pullover wirkte sie seltsam unterkühlt. Fast so, als habe der Regen alle Farben aus ihr herausgewaschen. Sie beugte sie sich vor, um ihn auf die Wange zu küssen, hielt aber im letzten Moment inne und wandelte die Bewegung in eine unbeholfene Umarmung.
Sie ließ ihn los und blickte sich um. Ihre Augen verengten sich. „Hast du Wein verschüttet?“, fragte sie, bevor er etwas sagen konnte.
„Ja.“ Er versuchte ein Lachen. „Mir ist eine Flasche aus der Hand gefallen.“
Sie lachte nun auch, doch es klang befangen. Die Distanz zwischen ihnen schien Welten zu betragen. Als er sie die Auffahrt hinaufgetragen hatte, war es ganz anders gewesen.
Steifgliedrig wies er in den Raum. „Mein Atelier. Manchmal schlafe ich hier auch.“
Sie trat weiter in den Raum, bis zum Lichtkegel der Tischlampe. Als sie den Vermeer entdeckte, stieß sie einen kleinen Laut aus, der Überraschung bedeuten konnte, oder Entzücken.
„Ist er das?“
Sie stand lange vor dem Bild und sah es an. Ihre leisen Atemzüge waren das einzige Geräusch im Raum. Selbst der Regen auf den Scheiben war abgeflaut.
Er regte sich nicht, weil er sie nicht stören wollte und weil er sich wohl fühlte in den Schatten. Er wusste, dass er nicht gut aussah. Es kam von den
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