Die dunklen Gassen des Himmels: Bobby Dollar 1 (German Edition)
einer Ex führen, mit der sie sich vielleicht gerade wieder eingelassen haben. Aber zu diesen Leuten gehöre ich nicht.
Auch wenn Sie San Judas nicht so gut kennen, haben Sie doch vielleicht schon mal von der Stanford University gehört, dem Harvard des Westens, Alma Mater mehrerer US-Präsidenten und (auch wenn darüber nicht so viel geredet wird) Geburtsstätte zahlloser taktischer Waffen unerfreulichster Art wie etwa der Wasserstoffbombe.
Um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts gab es in Nordkalifornien nur eine richtige Stadt – San Francisco, das mit dem Goldrausch zu boomen begann und so schnell nicht wieder aufhörte, weil es nämlich all den Einfaltspinseln, die auf dem Weg in die Goldfelder waren, Goldgräberausrüstungen verkaufte und ihnen dann, wenn sie zurückkamen, für alle möglichen Dienstleistungen, von denen die wenigsten legal waren, noch mehr Geld abknöpfte. Am anderen Ufer der San Francisco Bay wurde Oakland zum Sprungbrett für die, die es in die goldenen Hügel zog.
Noch zwei weitere Städte entwickelten sich an der Bucht, die eine um die Mission San José im Südosten der Bucht, die andere um eine unbedeutendere Mission namens »San Judas Tadeo« am späteren Redwood River. Entgegen dem, was eine Menge Dummköpfe damals glaubten (und bis heute glauben), hat der Name San Judas nämlich nichts mit Judas Ischariot, dem Verräter Jesu, zu tun (obwohl diese falsche Annahme erstaunlich gut zu dem Image passt, dass sich die Stadt im Laufder Zeit zugelegt hat). Er bezieht sich vielmehr auf St. Judas, den Schutzheiligen der Verzweifelten und Ungeliebten und anderer hoffnungsloser Fälle – kurzum, einen noch passenderen Namenspatron, als es der Ex-Kumpel Christi je hätte sein können.
Als immer mehr Menschen Holz für Boote und Häuser brauchten, schossen überall in den Hügeln westlich von San Judas Sägewerke aus dem Boden, und Siedler baggerten den Redwood River aus, damit die Stämme zu Wasser in den neuen Hafen gelangen konnten. Dann, als die Stadt ohnehin schon ordentlich zu wachsen begann, fand jemand droben in der Santa Cruz Range Öl, und große Mengen dieses Öls wurden auf dem Fluss in den Hafen von San Judas gebracht. Der Boom hielt nur etwa zehn Jahre an, doch das genügte, um die Mission San José und andere Konkurrenten um den Titel ›zweitwichtigste Stadt der Bay Area‹ abzuhängen.
Und das ist bis heute typisch für San Judas – Boom und Bankrott, Völlerei und dann wieder Hungersnot. Es war eine Ölstadt, eine Hafenstadt und schließlich eine Industriestadt wegen all der Rüstungsunternehmen, die sich dort um die Zeit des Zweiten Weltkriegs ansiedelten. Und ein Lockmittel für diese Art Technologie waren die Natur- und Ingenieurswissenschaftler, die die Stanford University und andere lokale Universitäten produzierten, ein Standortvorteil, der auch dazu führte, dass sich Jude zusammen mit Berkeley und San Francisco im Zentrum der Informationsrevolution wiederfand.
Leland Stanford war ein Unternehmer der viktorianischen Ära – ein »Räuberbaron« in den Augen vieler –, der Gouverneur von Kalifornien wurde. Als sein einziges Kind an Typhus starb, gründeten er und seine Frau zum Gedenken an ihren Sohn die Stanford University, und die ersten Jahre war diese eine bemerkenswert fortschrittliche Institution. Dann kam Stanfords Frau bei einem Brand ums Leben, weil der Ex-Gouverneur sie aufgrund einer abgeschlossenen Tür nicht retten konnte. Er hörteihre schrecklichen letzten Momente mit und war danach nicht mehr derselbe. Und auch seine Universität war nicht mehr der freie und offene Ort, der sie gewesen war: keine modernen Sandsteingebäude mehr, kein weiter Blick mehr auf die wunderschönen Hügel im Westen. Stattdessen wuchs die Universität weitgehend in die Vertikale, mit dunklen, pseudomittelalterlichen Türmen. Und das Geschenk des Gouverneurs an den Bundesstaat schottete sich auch zunehmend ab, umgab sich mit turmbewehrten Mauern, sodass es mehr von der Festung einer Besatzungsmacht hatte als von einer modernen Stätte der Gelehrsamkeit.
Der Camino Real, die große Nord-Süd-Straße, die von San Francisco bis ans andere Ende der Bucht führt, verlief einst durch die Universität selbst, doch irgendwann in den 1920er Jahren wollte das Kuratorium nicht mehr Krethi und Plethi durch seine teure und exklusive Universität kutschieren sehen, also verlegte man die Fahrbahn in einen Tunnel, der unter dem schmalsten Teil des Universitätsgeländes hindurchführt.
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