Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman
nichts weiter, sondern wies ihn stattdessen auf die Wahrzeichen am dunklen Umriss des gegenüberliegenden Ufers hin, hinter dem Nikaia lag.
Giuliano fuhr mit seiner Suche nach verlässlichen Hinweisen fort, die es rechtfertigen würden, dass eine Flotte von Kreuzfahrern in Konstantinopel anlegte, um Proviant an Bord zu nehmen. Die andere Möglichkeit bestand darin, dass sie den Landweg nahmen, doch auch das ließ noch immer die Möglichkeit offen, von Konstantinopel aus nach Asien überzusetzen und dann südwärts zu ziehen.
Während sich Giuliano prüfend und abwägend umsah, merkte er, dass er das nach wie vor als jemand tat, der die Erfolgsaussichten und Profitmöglichkeiten bei einem Sieg abschätzte, und fühlte sich dabei zutiefst unbehaglich.
Gegen Ende des Monats bekam er eine Mitteilung von Zoe Chrysaphes, in der es hieß, es sei ihr gelungen, Einzelheiten über Magdalena Agallon in Erfahrung zu bringen. Sie wisse nicht, ob er sie würde hören wollen, doch sei sie auf jeden Fall bereit, ihn in zwei Tagen zu empfangen.
Selbstverständlich ging er hin, denn er wollte es auf jeden Fall erfahren, ganz gleich, was es sein mochte.
Als man ihn vor Zoe führte, kostete es ihn große Mühe, den äußeren Anschein von Gefasstheit zu wahren. Sie tat so, als merke sie nichts davon.
»Habt Ihr Euch inzwischen ein wenig in der Stadt umgesehen? «, erkundigte sie sich im Gesprächston und trat erneut mit ihm an das herrliche Aussichtsfenster. Im sanften Lichtschein des frühen Abends verschwammen die scharfen Umrisse.
»Ja«, gab er zurück. »Ich habe mir die Zeit genommen, viele der Orte aufzusuchen, von denen Ihr gesprochen habt, und dabei einige geradezu märchenhafte Ausblicke genossen – aber nichts, was sich mit diesem hier vergleichen ließe.«
»Ihr schmeichelt mir.«
»Nicht Euch – Eurer Stadt«, stellte er mit einem Lächeln richtig, doch der Ton, in dem er das sagte, ließ durchblicken, dass der Unterschied nur minimal war.
Sie wandte sich ihm zu. »Es ist grausam, Menschen auf die Folter zu spannen, die etwas erfahren wollen.« Mit leichtem Achselzucken fügte sie hinzu: »Manche finden Spinnen schön, ich nicht. Der klebrige Faden, mit dem sie
Fliegen in die Falle locken, ist zwar raffiniert, aber zugleich auch widerwärtig.«
Er spürte seinen Pulsschlag so heftig, dass er sich fragte, ob sie das seinen Schläfen ansehen konnte.
»Seid Ihr sicher, dass Ihr es hören wollt?«, vergewisserte sie sich. »Ihr müsst nicht. Wenn es Euch lieber ist, kann ich vergessen, was ich in Erfahrung gebracht habe, und werde es auch gewiss sonst niemandem sagen.«
Sein Mund war wie ausgedörrt. »Ja.« Während er das sagte, wusste er selbst nicht, ob es ihm damit ernst war, doch wäre es feige, sich jetzt zurückzuziehen.
»Die Agallons waren eine bedeutende Familie mit zwei Töchtern«, begann sie. »Magdalena, also Eure Mutter, ist mit einem venezianischen Kapitän durchgebrannt, Giovanni Dandolo, Eurem Vater. Es sah damals aus, als seien sie sehr ineinander verliebt. Doch nach nicht einmal einem Jahr, genau genommen waren es nur wenige Monate, hat Eure Mutter ihn verlassen und ist nach Nikaia zurückgekehrt, wo sie einen überaus wohlhabenden Byzantiner geheiratet hat.«
Es hätte ihn nicht überraschen sollen. Schließlich hatte er mit einer solchen Möglichkeit gerechnet. Doch es in diesem herrlichen Raum mit so deutlichen Worten zu hören, bedeutete das Ende aller anderen Möglichkeiten, aller Hoffnung.
»Es tut mir leid«, sagte Zoe. Im gedämpften Licht, das durch das Fenster hereinfiel, schien ihr Gesicht faltenlos – so musste sie in jungen Jahren ausgesehen haben. »Als Magdalenas neuer Gatte merkte, dass sie bereits schwanger war, hat er sie vor die Tür gesetzt. Er dachte nicht daran, das Kind eines anderen aufzuziehen, und schon gar nicht das eines Venezianers. Immerhin hatte er bei der Plünderung
der Stadt seine Eltern und einen Bruder verloren.« Ihre Stimme brach, aber sie fing sich sogleich wieder. »Da sie nicht bereit war, die mit einem Kind verbundene Belastung und Verantwortung auf sich zu nehmen, hat sie Euch fortgegeben. Euer Vater muss davon erfahren haben, denn er ist gekommen, um Euch zu suchen und mit nach Venedig zu nehmen. Ich hätte Euch lieber etwas Angenehmeres berichtet, aber früher oder später hättet Ihr bei Eurer Suche ohnehin die Wahrheit erfahren. Jetzt könnt Ihr dieses Wissen in Euch begraben und braucht nicht mehr daran zu denken.«
Doch das war unmöglich.
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