Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman
wird und der Preis dafür nicht zu hoch ist. Das Ziel heißt, das Heilige Land für die Christenheit zurückzugewinnen, nicht aber, jeden europäischen
Händler und Schiffbauer zum reichen Mann zu machen – doch sollen sie selbstverständlich den ihnen zustehenden Lohn bekommen.«
Der König lachte laut und anhaltend. »Wie immer diplomatisch ausgewogen, was? Damit wollt Ihr wohl sagen, dass von Venedig erst dann eine Zusage zu erwarten ist, wenn man dort sieht, wie sich alle anderen entschieden haben. Seid nicht zu bedächtig, sonst investiert Ihr Euer Geld zu spät. Man kann deutlich sehen, dass ihr Venezianer Händler seid und keine Krieger.« Zwar sagte er das mit einem Lächeln, doch es war unübersehbar als Kränkung gemeint.
»Ich bin Seefahrer, Majestät«, gab Giuliano zurück. »Ich stehe auf der Seite Gottes, und ich weiß Abenteuer und Gewinn zu schätzen. Niemand, der bereit ist, sich den Gefahren der See zu stellen, hat es verdient, als feige bezeichnet zu werden.«
Der König breitete die Arme aus. »Ihr habt Recht, Dandolo. Ich nehme das zurück. Ihr seid interessanter, als ich gedacht hatte. Kommt und esst mit mir zu Abend!« Er machte eine einladende Handbewegung, wandte sich dann ab und ging in der Gewissheit voraus, dass Giuliano ihm folgen würde.
Jedes Mal, wenn ihn Charles in den darauffolgenden Tagen zu einer Partie Karten oder zum Würfelspiel aufforderte, nahm Giuliano an. Einmal davon abgesehen, dass es nicht einmal dann leicht war, einem König etwas abzuschlagen, wenn man keiner seiner Untertanen war, musste er unbedingt so viel Zeit wie möglich in dessen Gesellschaft verbringen, um auszuloten, welches seine Vorhaben für die nähere Zukunft waren. Alle Welt kannte seine Pläne, denn
er hatte nie ein Geheimnis daraus gemacht, doch für Venedig war der zu ihrer Ausführung vorgesehene Zeitpunkt von entscheidender Bedeutung.
Der Herrscher spielte mit Begeisterung, doch kam Giuliano bald dahinter, dass er zwar nicht gern verlor, es aber noch weniger schätzte, wenn man ihn herablassend behandelte, indem man ihn absichtlich gewinnen ließ. So musste er all seine Verstandeskräfte aufbieten, um gut zu spielen und dennoch zu verlieren. Ein- oder zweimal gelang ihm das nicht, so dass er gewann. Angespannt wartete er auf den Ausbruch des Königs, bereit, sich zu verteidigen, doch nach kurzem verdrießlichem Schweigen stieß der König nur einen erbitterten Fluch aus und verlangte eine neue Partie, bei der Giuliano konzentriert darauf achtete, dass er verlor.
Einige Tage später, sie machten einen Ausflug auf dem Meer, gewahrte er an ihm noch eine andere Seite. Charles von Anjou war sich seiner Fähigkeiten auf dem Wasser nicht sonderlich gewiss und achtete sorgfältig darauf, nichts zu unternehmen, was ihm möglicherweise misslingen konnte. Zweimal sah Giuliano, wie er zu etwas ansetzte, was er sich dann anders überlegte. Das war verräterischer, als ihm bewusst sein mochte: Er sah sich wohl nach wie vor als den jüngeren und noch dazu unerwünschten Bruder, der zu versagen fürchtete und nicht genug Selbstvertrauen besaß, dergleichen als unerheblich abzutun. Er war darauf angewiesen, dass seine Umgebung wahrnahm, wie er jedes seiner Vorhaben zum Erfolg führte.
Doch zögerte er nicht im Geringsten, als es darum ging, dass der Rudergänger das Boot auch über gefährlichere Stellen führte, dicht an Felszacken vorüber, an denen sich die Brandung brach. Fehlschläge mochte er fürchten, den Tod fürchtete er nicht.
Plötzlich verstand Giuliano den Mann, der nach dem Tod seines Vaters als von der eigenen Mutter abgelehntes Kind zur Welt gekommen war. Sein ältester Bruder war nicht nur König von Frankreich gewesen, sondern galt vielen auch als Heiliger. Was blieb einem ehrgeizigen und ungestümen Menschen da anderes übrig, als die Aufmerksamkeit seiner Umgebung auf sich zu lenken, indem er versuchte, etwas Unmögliches zu erreichen?
Sie umrundeten die Landspitze und gelangten in ruhigeres, tieferes Wasser. Im Westen blieb die Küste Siziliens zurück, weit im Norden lagen die Liparischen Inseln, und am Horizont stieg die weiße Rauchwolke über dem Krater des Vulkans Stromboli auf.
Mit einem Mal wandte Charles das Gesicht nach Osten und sagte in triumphierendem Ton: »Da hinten liegt Byzanz. « Die trügerische und gefährliche Strömung schien vergessen. »Dorthin ziehen wir, Dandolo. Wie Euer Urgroßvater werde ich vom Bug meines Schiffes an den Strand springen und den Vorstoß
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