Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman
ehrlich gemeint ist. Aber einmal genügt. Es wäre mir nicht recht, wenn man mich ständig lobte. Immer wieder ›du bist großartig‹, ›du bist wunderbar‹ …«
»Nein, natürlich nicht.« Er wandte sich um, den Rücken halb dem Meer und das Gesicht ihr zugewandt. »Das wäre lächerlich und … unglaublich oberflächlich.«
»Und was ist mit Gehorsam?«, fuhr sie fort. »Gefällt es Euch, wenn Menschen etwas nur deshalb tun, weil Ihr es ihnen gesagt habt, nicht aber, weil sie von selbst darauf verfallen sind? Nicht, weil es ihnen wichtig ist und sie es gern tun wollten? Wäre die Ewigkeit nicht … langweilig, wenn man keine Möglichkeit hätte, zu wachsen und zu lernen?«
»Ich habe noch nie an die Möglichkeit gedacht, dass es im Himmel langweilig sein könnte«, sagte er mit einem leisen Lachen. »Aber nach hunderttausend Jahren, ja, doch,
das wäre entsetzlich. Vielleicht ist das in Wirklichkeit die Hölle …«
»Nein«, sagte sie. »Es ist die Hölle, wenn man im Besitz des Himmels war und ihn sich hat entgleiten lassen.«
Er nahm sein Gesicht zwischen die Hände und drückte die Handrücken fest gegen die Wangenknochen. »Großer Gott, Euch ist es ja ernst damit.«
Sie fühlte sich verlegen. »Sollte es das nicht sein? Es tut mir leid …«
»Doch!« Er sah sie an. »Auf jeden Fall! Jetzt erst weiß ich, was mir am meisten gefehlt hat, während ich von Byzanz fort war.«
Tränen traten ihr in die Augen, und einen Augenblick lang verschwamm alles vor ihr. Dann schlang sie die Hände ineinander und verdrehte die Finger so lange, bis der Schmerz sie in die Wirklichkeit zurückrief, sie an die Grenzen mahnte, an das erinnerte, was sie haben konnte und was nicht. »Vielleicht gibt es mehr als eine Hölle«, gab sie zu bedenken. »Möglicherweise besteht eine von ihnen darin, dass man ständig das Gleiche wiederholt, bis man schließlich merkt, dass man in jeder Beziehung tot ist. Dann hat man aufgehört zu wachsen.«
»Ich fühle mich versucht zu spotten, dass das unverfälschtes Byzaninertum und wahrscheinlich auch Ketzerei ist«, sagte Giuliano. »Aber ich kann mich des schrecklichen Verdachts nicht erwehren, dass Ihr Recht habt.«
KAPİTEL 47
Selbstverständlich hatte Helena ihrer Mutter mitgeteilt, dass Grigorios Vatatzes aus Alexandria zurückkommen würde. Mitten in dem herrlichen Raum stehend, von dem aus man das ganze Meer im Blick hatte, hatte sie das so beiläufig gesagt, als gehe es um nichts weiter als den Preis eines neuen Luxusgutes auf dem Markt: ein unterhaltsames, aber unerhebliches Detail. Wie viel wusste Helena, oder, schlimmer noch, gab es etwas, was Zoe nicht wusste?
Unverwandt hielt sie den Blick auf das große goldene Kreuz gerichtet. Die arme Irene. Sie hatte Zuflucht in ihrer Klugheit und ihrem Groll gesucht, statt beides zu nutzen, um zu bekommen, was sie haben wollte.
Endlich war Grigorios auf dem Heimweg und konnte jeden Tag eintreffen. Zoe erinnerte sich so lebhaft an ihn, als sei er erst vor einer Woche aufgebrochen und nicht vor vielen Jahren. Ob sein Haar grau war? Auf jeden Fall würde er nach wie vor sogar sie mit seiner Körpergröße überragen.
Vielleicht war es ganz gut, dass sie nicht geheiratet hatten. Dann hätte der gefährliche Kitzel aufgehört, und sie hätten einander möglicherweise gelangweilt.
Arsenios, sein Vetter aus dem älteren Zweig der Familie Vatatzes, hatte das Geld und die herrlichen gestohlenen Ikonen für sich behalten, ohne mit jemandem zu teilen. Daher traf Grigorios nicht nur keine Schuld, er hatte ihn sogar dafür gehasst. Andernfalls hätte Zoe ihn auch unter keinen Umständen lieben können.
Doch all das änderte nichts daran, dass er Arsenios’ Vetter war, und daher würde er über all das ergrimmen, was Zoe auf so glänzende Weise vollbracht hatte. Sein Vetter und dessen Sohn waren tot, und der Ruf seiner Nichte war
auf alle Zeiten ruiniert. Würde er sich zusammenreimen, auf welche Weise Zoe das bewirkt hatte? Er war immer beinahe ebenso scharfsinnig gewesen wie sie.
Ein Schauer überlief sie trotz der Wärme, die durch das offene Fenster hereinkam. Würde er sich rächen wollen? Zwar hatte er nichts für Arsenios übriggehabt, war aber von Familienstolz erfüllt.
Die Tage vergingen. Zoe trug an einem Tag dunkelblaue, am nächsten karmesin- und topasfarbene Gewänder, ölte, salbte und parfümierte sich, ließ sich von Thomais die Haare bürsten, bis sie bei jeder Bewegung bronze- und goldfarben schimmerten wie Schuss und
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