Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman
sagte er betrübt. »Der König beider Sizilien zieht Woche für Woche mehr Schiffe und Verbündete zusammen, und wir können nicht länger so tun, als befinde sich die orthodoxe Kirche auf einer Linie mit uns. Es ist nur allzu offensichtlich, dass Kaiser Michael lediglich so getan hat, als wolle er unsere ihm zur Freundschaft ausgestreckte Hand ergreifen. In Wahrheit geht es ihm ausschließlich um die Unversehrtheit und Sicherheit seines Reiches, nichts weiter.«
Die Unausweichlichkeit des Bevorstehenden bedrückte Palombara, denn er hatte gehofft, dass die Dinge ins Lot kommen würden.
»Sofern Ihr nach Rom zurückkehren wollt, Ehrwürdigste Exzellenz, gestattet Euch der Heilige Vater das.« Der Bote sprach jetzt mit gesenkter Stimme. »Er ist sich darüber klargeworden, dass er auf das Handeln des Grafen von Anjou keinen Einfluss mehr hat. Es wird mit Sicherheit zu einem neuen Kreuzzug kommen, vielleicht bereits im Jahre 1281, und dabei wird ein Heerbann aufgeboten wie bei keinem der vorigen.« Er sah Palombara an. »Falls Ihr aber, zumindest einstweilen, hier in Konstantinopel bleiben wollt, gibt es sicherlich Aufgaben, mit denen Ihr das Werk Christi
fortsetzen könnt.« Er schlug das Kreuzzeichen, selbstverständlich auf die in Rom übliche Weise.
Nachdem der Bote des Papstes gegangen war, betrachtete Palombara nachdenklich das Treiben am Hafen im Licht der Abendsonne. In den Augen der römischen Kirche war die Aufgeschlossenheit der Byzantiner gegenüber anderen Ideen eine moralische Verfehlung. Sie hielt es für eine Schwäche, dass man die Vertreter der abwegigsten Vorstellungen gewähren ließ, statt deren Treiben zu unterbinden. Offensichtlich hatte man in Rom nicht begriffen, dass blinder Gehorsam einem Dogma gegenüber letztlich jedes Denken erstickte.
Palombara wollte nicht nach Rom zurückkehren und dort seine Zeit damit zubringen, sich an opportunistischen Machtspielen zu beteiligen, Botschaften zu übermitteln und untergeordnete Aufgaben zu erledigen. Er schloss die Augen und spürte die Strahlen der sinkenden Sonne auf seinen Lidern.
Nein, er dachte nicht daran aufzugeben. Sofern Charles von Anjou tatsächlich in Konstantinopel einfiel, konnte er, Palombara, möglicherweise etwas vor dem Untergang bewahren. Auf keinen Fall durfte er einfach davongehen.
Laut sagte er: »Ich bitte dich, Herr, lass nicht zu, dass all das hier zerstört wird. Lass nicht zu, dass wir ihnen das antun – oder uns.«
KAPİTEL 78
Giuliano Dandolo kehrte mit einem Schiff nach Venedig zurück, dessen Laderaum Gold aus allen Ländern Europas enthielt. In England, Spanien, Frankreich und dem Heiligen Römischen Reich rüstete man zum großen Kreuzzug. Tat und Nacht wurde auf den Werften gearbeitet, und eine große Zahl von Schiffen war bereits vom Stapel gelaufen. Charles von Anjou hatte die vereinbarte Zahlung geleistet; jetzt würde man ihm liefern, was er in Auftrag gegeben hatte.
Dennoch war Giuliano nicht glücklich, während er vom Balkon herab dem herrlichen Sonnenuntergang zusah.
Der Doge hatte ihm mitgeteilt, Venedig habe den mit Byzanz geschlossenen Vertrag nach bloß zwei Jahren aufgekündigt. Obwohl Giuliano weder mit dessen Abschluss noch mit dessen Beendigung etwas zu tun gehabt hatte, schämte er sich wegen des Verrats, den seine Vaterstadt damit an Byzanz beging.
Er sah auf das Spiel von Licht und Wasser und fühlte sich unwillkürlich an den Bosporus erinnert.
Was würde aus Konstantinopel, wenn die Kreuzfahrer dort einfielen?
Der Gedanke, wegen des Glaubens Krieg zu führen, schien ihm widersinnig. Wie weit war dieser Streit darüber, wer Recht oder die Macht hatte, von der Lehre Christi entfernt! Er erinnerte sich an die Gespräche, die er mit Anastasios geführt hatte, und der Gedanke an Anastasios schnitt ihm tief ins Herz. Wie würden ihn die Kreuzfahrer behandeln? Auf welche Weise konnte er sich schützen? Die Vorstellungen, die sich Giuliano dabei aufdrängten, waren so entsetzlich, dass er sie nicht zulassen konnte. Es ging um
die Stadt Konstantinopel und ihr Umland, doch letzten Endes lief es, wie wohl bei allem, darauf hinaus, dass man sich um die Menschen sorgte, die man kannte und denen man vertraute.
Die Schatten wurden länger, und das Licht schwand rasch.
KAPİTEL 79
Erneut war Anna in das Haus von Ioanna Strabomytes gerufen worden, obwohl die Diener nicht wussten, ob noch Geld da war, um den Arzt zu bezahlen. Doch das war unerheblich, die Frage der Bezahlung hatte nichts mit Annas
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