Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman
bereits: Er und Niccolo Vicenze sollten dafür sorgen, dass sich der byzantinische Kaiser an all die großen Versprechungen hielt, die er dem Papst schriftlich gemacht hatte. Sie sollten erreichen, dass den Worten auch Taten folgten. Unter Umständen würde es nötig sein, Kaiser Michael darauf hinzuweisen, welche Folgen es für sein Volk haben würde, falls er sein Wort nicht hielte. Das Gleichgewicht der Kräfte war empfindlich, und es war nicht auszuschließen, dass es schon bald zu einem neuen Kreuzzug kam, diesmal mit Charles von Anjou an der Spitze. Tausende zum Kampf gerüsteter Männer würden sich nach Konstantinopel einschiffen. Das Schicksal der Stadt hing davon ab, ob sie in friedlicher Absicht als Brüder in Christo kamen oder wie zu Beginn des Jahrhunderts als marodierende Mordbrenner, die im Namen ihres Glaubens das letzte Bollwerk der westlichen Welt gegen den Islam mit Feuer und Schwert zerstört hatten.
Palombara freute sich auf die vor ihm liegende Aufgabe. Sie würde seinen Horizont erweitern, sein Urteilsvermögen auf die Probe stellen und, sofern er Erfolg hatte, sein Fortkommen beträchtlich vorantreiben. Außerdem freute er sich darauf, in eine ihm bisher unbekannte Kultur einzutauchen, womit sicherlich auch Abenteuer verbunden waren. Die bedeutenden Gebäude der Stadt standen noch, auf jeden Fall die Hagia Sophia und die Bibliotheken, und auch die Märkte mit all ihren fremdländischen Gewürzen, Seidenstoffen und den Handwerkserzeugnissen des Orients lockten ihn. Er würde einen völlig anderen Lebensstil genießen, die Denkweise von Arabern und Juden näher kennenlernen und selbstverständlich auch mehr von der griechischen mitbekommen als in Rom.
Doch was er zurückließ, würde ihm fehlen – Rom, die Stadt der Cäsaren, Mittelpunkt des bedeutendsten Reiches, das die Welt je gesehen hatte. Selbst der Apostel Paulus war stolz darauf gewesen, römischer Bürger zu sein.
Genau genommen war Palombara allerdings auch in Rom ein Fremdling, denn er stammte aus Arezzo in der Toskana und sehnte sich nach der Schönheit ihrer Landschaft. Er liebte den sich weithin erstreckenden Blick über die überwiegend waldigen, sanft gewellten Hügel, sehnte sich danach, wieder einmal zu sehen, wie sich das Licht des frühen Morgens darüberlegte, nach den Farben und Schatten des Sonnenuntergangs, nach dem Frieden der Olivenhaine.
Ein Lächeln lag auf seinen Zügen, während er sich der breiten Treppe näherte. Auf halber Höhe sah er, dass einer der Männer, die dort standen und warteten, Niccolo Vicenze war, der ihn mit seinen wässrigen Augen verdrießlich musterte.
Bei seinem Anblick überlief Palombara der kalte Schauer einer Vorahnung.
Vicenze verzog den Mund zu einem Lächeln, an dem seine Augen keinen Anteil hatten, und vertrat ihm den Weg. »Ich habe unsere Anweisungen vom Heiligen Vater bereits«, sagte er mit teilnahmslos klingender Stimme, die seine Befriedigung nahezu vollständig verbarg. »Aber zweifellos möchtet Ihr ebenfalls seinen Segen erbitten, bevor wir aufbrechen.«
Mit einem einzigen Satz hatte er Palombara als überzählig abgestempelt und als bloßen Begleiter hingestellt, den man einfach deshalb mitschickte, weil das so üblich war.
» Wie aufmerksam von Euch«, gab Palombara zurück, als sei Vicenze ein Diener, der mehr als seine Pflicht getan hatte.
Einen Augenblick lang schien Vicenze verwirrt zu sein. Ihrem Wesen nach unterschieden sich die beiden Männer so sehr, dass sie mit denselben Wörtern einander widersprechende Aussagen hätten machen können.
»Es wird ein bedeutender Erfolg sein, die Byzantiner zur wahren Kirche zurückzuführen«, fügte Vicenze hinzu.
»Wir wollen hoffen, dass es uns gelingt«, sagte Palombara knapp. Als er den Glanz sah, der in Vicenzes Augen trat, wünschte er sogleich, nicht so offen gesprochen zu haben. Hinter Vicenzes Worten gab es nur selten einen verborgenen Sinn, dafür war er zu sehr von seinem Streben beherrscht, alles in der Hand zu haben und dafür zu sorgen, dass alle mit ihm übereinstimmten und vor allem er mit allen anderen. Es war ein sonderbar unmenschlicher Wesenszug. Steckte dahinter die Hingabe eines Heiligen, oder war es der Wahnsinn eines Mannes, der nicht Gott zu sehr liebte, sondern eher die Menschen zu wenig? Seit ihrer letzten Begegnung hatte Palombara ganz vergessen, wie sehr ihn Vicenze anwiderte.
» Wir werden der Aufgabe gewachsen sein und nicht eher ruhen, als bis wir sie gelöst haben«, sagte Vicenze
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